Eberhard Frey erzählt Schul-Geschichte(n)
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Aktenstudium: Karin Luys (l.), Eberhard Frey und Anita Placenti-Grau finden Archive spannend.
© Quelle: Sebastian Bisch
Neindorf. Heimatpfleger Eberhard Frey hat den Staub aus zwei Kisten voller Akten geschüttelt und die Geschichte der Volksschule Neindorf im 19. Jahrhundert herausgearbeitet. Auf 140 Din-A-4-Seiten sind seine Erkenntnisse jetzt zusammengefasst – veröffentlicht vom Institut für Zeitgeschichte und Stadtrepräsentation (IZS). Für Interessierte gibt es die Dokumentation beim IZS in der Goethestraße – gratis. Tatsächlich ist sie von hohem Wert für die historische Forschung.
„Am Beispiel des kleinen Neindorfs können wir die große Geschichte erzählen“, schwärmt Institutsleiterin Anita Placenti-Grau. Hochachtung zollt sie Freys Engagement. „Er hat es geschafft, in den Akten die Persönlichkeit des Lehrers Heinrich Asche zu entdecken.“ Die Alltagsgeschichte leidet von jeher darunter, dass die Quellenlage dürftig ist, während die Herrschenden durchaus darauf geachtet haben, dass Zeugnisse ihres Wirkens der Nachwelt erhalten bleiben.
Das Leben und Schaffen von Heinrich Asche zeigt sich in Lohnabrechnungen oder Berichten von Schulinspektionen, in Urkunden oder Bauzeichnungen und im Schriftverkehr von Pfarrer und Behörden.
Seltener Glücksfall
„Dass diese Akten erhalten blieben, ist ein seltener Glücksfall“, sagt Eberhard Frey. Drei Jahre lang durchstöberte er die Papiere und verglich sie mit Akten aus dem Kreisarchiv in Gifhorn. Eine „tiefe Frömmigkeit“ habe den Lehrer und Küster Heinrich Asche ausgezeichnet, urteilt er. Historikerin Karin Luys vom IZS unterstütze Frey bei der historischen Einordnung der Fakten und besorgte weiterführende Fachliteratur. „Man kann sagen, dass diese Geschichte typisch ist. Ich fand es sehr spannend!“, sagt sie.
Mindestlohn für Lehrer
So geht es zum Beispiel darum, dass zu Zeiten Asches eine Art „Mindestlohn“ für Lehrer eingeführt wurde, nachdem der Staat Preußen das Königreich Hannover übernommen hatte. Doch wurde auf diesen Verdienst noch die kleinste Kleinigkeit angerechnet – auch das Obst aus dem Schulgarten und sogar Mist und Saatgut aus dem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, den Asche von seinem Vorgänger übernommen hatte. Gleichzeitig weigerten sich die Almker offenbar bis zur Androhung eines Strafgeldes, ihren Beitrag zum Lehrerverdienst beizutragen. „Er musste sich gegen das Dorf und gegen seine Schüler durchsetzen“, sagt Frey.
Unterricht im Schichtbetrieb
Zwischen 84 und 100 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren besuchten die Schule. Der Unterrichtsraum war für 53 Kinder ausgelegt; 0,7 Quadratmeter standen jedem zu. Es funktionierte also nur im „Schichtbetrieb“: Vormittags die älteren, nachmittags die jüngeren – oder umgekehrt. Lesen lernte man vor allem durch das Katechismus-Studium – und Geometrie (Raumkunde) fiel in Neindorf offenbar ganz aus. Zwischendurch musste Lehrer Asche auch noch die Vertretung in umliegenden Schulen übernehmen. Zum Beispiel in Almke: Der verzweifelte junge Kollege dort hatte sich in die Oker gestürzt und Selbstmord begangen.
Über den Dorfschullehrer Heinrich Asche
Der Lehrer Heinrich Asche lieferte durch seine Buchführung die Basis für die Veröffentlichung des Heimatpflegers Eberhard Frey. Diese umreißt die Geschichte der Volksschule im 19. Jahrhundert – beispielhaft für viele Einrichtungen dieser Art. Über den Lehrer selbst weiß man, dass er 1827 in Rethen als Sohn eines Böttchermeisters geboren wurde und seine Ausbildung 1852 in Hannover abschloss. Nach Neindorf kam er als Hilfslehrer für Johann Heinrich Breithaupt, der 1859 nach einem Sturz vom Glockenturm im Alter von 75 Jahren starb. Heinrich Asche, damals 25 Jahre alt, trat die Nachfolge an und heiratete Breithaupts Tochter Marianne Juliane Katherina. Sechs Kinder bekam das Ehepaar, von denen vier Töchter die ersten Jahre überlebten. Die jüngste Tochter Alma Helga Martha, 1881 geboren, starb 1967 in Braunschweig. Asche selbst bekam als einer der ersten Lehrer seiner Zeit eine Pension zugesprochen, starb aber schon zweieinhalb Monate nach seinem Ausscheiden aus dem Lehrer- und Küsterdienst im Dezember 1895 in einer Nervenheilanstalt in Hildesheim. Er sei „tiefsinnig geworden“ heißt es in den Akten.
Eberhard Frey (79) war übrigens selbst Lehrer und ging 2005 in Pension. Doch er hat nicht aufgehört, selbst zu lernen und sein Wissen zu vermitteln. Das nächste Geschichts-Projekt ist schon in Vorbereitung. Diesmal geht es um einen Heiligendorfer, der als Soldat 1942 aus der Kriegsgefangenschaft Briefe an seine Frau schrieb. „Ich möchte den Namen, die auf den Denkmälern der Gefallenen stehen, ein Bild geben“, sagt Frey.
Von Andrea Müller-Kudelka