Schicksal

Ein Jahr Ukraine-Krieg: So leben sich Geflüchtete im Kreis Gifhorn ein

Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Tanja (li.) und Marianna (Mitte) leben seit März am Bernsteinsee, Sandra Schiller (rechts) und Anna Buder (hinten) stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Tanja (li.) und Marianna (Mitte) leben seit März am Bernsteinsee, Sandra Schiller (rechts) und Anna Buder (hinten) stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite.

Stüde. Ein Jahr Krieg in der Ukraine: Bereits wenige Tage nach dem Überfall der russischen Armee auf das osteuropäische Land haben private Initiativen im Kreis Gifhorn erste Hilfstransporte organisiert. Inzwischen leben fast 2000 Geflüchtete im Kreis Gifhorn. Hier sind sie sicher, haben aber immer noch den Schrecken der Bombenangriffe in ihrer Heimat vor Augen und sorgen sich um Angehörige, die im Kriegsgebiet ausharren.

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Familienidyll auf Zeit in der Monteurswohnung am Bernsteinsee: Seit März vorigen Jahres haben sich Marianna und Tanja aus Saporischschja, die ihre Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchten, mit ihren Töchtern Nastja (16) und Ksenia (10) beziehungsweise Uliana (11) in dem freundlichen, aufgeräumten Apartment eingerichtet. Mariannas Ehemann Denis und Tanjas Lebensgefährte Jaroslav sind auch da. Allerdings nur zu Besuch.

Alltag in der freundlichen, aufgeräumten Monteurswohnung: Marianna fühlt sich am Bernsteinsee wohl, denkt aber ständig an die Lieben in der Heimat.

Alltag in der freundlichen, aufgeräumten Monteurswohnung: Marianna fühlt sich am Bernsteinsee wohl, denkt aber ständig an die Lieben in der Heimat.

Zu Besuch sind gerade auch Dietmar Korzekwa und Alexander Michel vom Lions Club Gifhorn. Sie bringen 24 Wasserfilter und zehn Solar-Powerbanks im Wert von 800 Euro für die Ukraine vorbei. Nicht die erste Spende, die die Gifhorner Lions für die Ukraine auf die Beine gestellt haben. Denis und Jaroslav werden die Kuriere sein und die Spenden mit nach Hause nehmen. Den Transport nutzen sie für ein paar Tage Familienleben in der Fremde.

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Spende für die Ukraine vor Ort: Der Lions Club Gifhorn hat 24 Wasserfilter und zehn Solar-Powerbanks im Wert von 800 Euro besorgt, die vor Ort den Menschen beim Überleben helfen sollen.

Spende für die Ukraine vor Ort: Der Lions Club Gifhorn hat 24 Wasserfilter und zehn Solar-Powerbanks im Wert von 800 Euro besorgt, die vor Ort den Menschen beim Überleben helfen sollen.

Die Männer bleiben in der umkämpften Heimat Ukraine

Ansonsten sind die Männer in der Heimat eingebunden. Eingezogen worden seien sie wenigstens nicht, berichten die Frauen erleichtert. Sie arbeiteten in der IT-Branche und würden dort gebraucht. Wenn Marianna darüber berichtet, geht ihr Blick nach unten. Immer wieder knetet sie ihre Hände. Sie und Tanja denken nicht allein nur an die Väter ihrer Töchter, die erst zwei-, dreimal für wenige Wochen in Stüde waren. Auch ihre Eltern und weitere Angehörige sind noch in der Heimat. Es ist ungewiss, ob sie sie jemals wiedersehen.

Nachts mit der Heimat telefonieren – wenn Empfang ist

Entsprechend schlecht schlafen die Geflüchteten in der komfortablen Wohnung. Oft telefonieren sie auch nachts mit den Lieben, wenn es Empfang gibt.

Alltag in der freundlichen, aufgeräumten Monteurswohnung: Tanja fühlt sich am Bernsteinsee wohl, denkt aber ständig an die Lieben in der Heimat.

Alltag in der freundlichen, aufgeräumten Monteurswohnung: Tanja fühlt sich am Bernsteinsee wohl, denkt aber ständig an die Lieben in der Heimat.

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Rückblende auf den 24. Februar 2022: Da ist die Nacht um 4 Uhr morgens vorbei. Es wird laut vor lauter Flugzeugen. „Die ganze Stadt war wach“, berichtet Marianna. „Alle sind panisch geworden.“ Obgleich der Angriff in der Ukraine niemanden wirklich mehr überrascht habe. Es lag was in der Luft, sagen die Geflüchteten. Lebensmittel besorgt, das Auto betankt und Geld abgehoben, wo noch was zu haben war: „Überall standen Schlangen.“ Die erste Zeit verbringen die Ukrainerinnen in der Stadt – sie schlafen im Treppenhaus, nicht mehr in der Wohnung mit den Außenwänden –, dann geht es in die Datsche, dann in die westliche Ukraine, weg von der Front. „Es war die Hölle auf Erden.“ Marianna knetet wieder die Hände.

Wie die beiden Frauen aus der Ukraine nach Gifhorn kamen

Danil, der Freund von Mariannas Ältester, setzt sich mit seiner Familie in einen Bus. Er hat einen nach Deutschland erwischt, landet Mitte März in der Region. In Wolfsburg lernt er die Gifhornerin Sandra Schiller kennen, die bereits im Februar Hilfstransporte organisiert hat und nun Geflüchteten hilft. Über ihn kommt der Kontakt zu Marianna und Tanja zustande. Die beiden Frauen und ihre Kinder nehmen ebenfalls einen Bus, kommen über Rumänien nach Deutschland.

So ging es los

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine überfallen. Schon wenige Tage danach kamen die ersten Ukrainerinnen mit ihren Kindern im Landkreis Gifhorn an. Mit Stand vom 10. Februar meldet der Landkreis Gifhorn 1.943 Ukrainerinnen und Ukrainer. Einige Geflüchtete haben im Landkreis nur einen Zwischenstopp eingelegt, bevor sie zu Verwandten weitergereist sind, andere haben sich hier niedergelassen.

Am Tag nach dem Kriegsausbruch haben bereits viele Kirchengemeinden im Kirchenkreis Gifhorn zum Friedensgebet eingeladen und ließen ihre Glocken läuten als Zeichen der Solidarität. Über Monate hinweg fanden in verschiedenen Kirchengemeinden wöchentliche Friedensgebete statt.

Private Initiativen wie beispielsweise der Förderverein Ehra-Lessien gingen unmittelbar nach Kriegsbeginn auf Suche nach Unterkünften für Geflüchtete, baten um Mithilfe bei der Betreuung von Kindern, bei Fahrdiensten oder Dolmetscherleistungen, auch in Meinersen tat sich eine Gruppe um den Ratsherrn Hinnerk Bode-Kirchhoff zusammen, um zu helfen, „Gifhorn hilft“ und die Flüchtlingshilfe Papenteich gehörten zu den Unterstützern, Calberlaher organisierten einen Hilfstransport, es gab und gibt private Deutsch-Kurse und Unterstützung bei Behördengängen, Schulklassen stellten Spendensammlungen auf die Beine, die Gifhorner KfZ-Innung reparierte Autos von Geflüchteten kostenlos. Und am 2. März, nicht mal eine Woche nach Kriegsausbruch, startete der erste Hilfskonvoi, organisiert von Privatleuten.

Am 4. März kamen die ersten Geflüchteten im Landkreis an, sie wurden im Camp in Lessien untergebracht, der Landkreis bat darum, verfügbaren privaten Wohnraum zu melden.

Und auf dem Gifhorner Marktplatz gab es am 6. März eine Mahnwache mit mehr als 1000 Teilnehmenden gegen den Krieg in der Ukraine. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits mehr als 25.000 Euro Spenden für Gifhorns Partnerstadt Korssun-Schewtschenkiwski zusammengekommen. Inzwischen hat die Stadt Gifhorn drei Hilfstransporte in die Partnerstadt geschickt, der vierte ist in Vorbereitung.

Schiller und ihre Mitstreiterinnen Anna Buder und Katja Dylong haben derweil schon viel vorbereitet. Über Aufrufe in den sozialen Medien kommen sie unter anderem an die gerade leer stehende Monteurswohnung. „Hier am Bernsteinsee war es kein Problem.“ Die Gesellschaft sei sehr großzügig und kooperativ, auch heute noch, freut sich Schiller über die Zusammenarbeit.

Wie die Gifhornerinnen bei den Behördengängen helfen

Die Hilfe der Gifhornerinnen geht über die Beschaffung von Wohnung und Kleidung hinaus. Wenn Marianna und Tanja sich an die Behördengänge zurück erinnern, können sie endlich wieder lachen. Denn Schiller habe sie strikt angewiesen, wie sie sich in der Schlange zu verhalten haben. „Hier stehen bleiben“, parodiert Tanja ihre Patronin und prustet. Fehlten nur noch Anweisungen zum Ein- und Ausatmen, lachen die Frauen.

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Während sich die Männer in Nebenräume zurückgezogen haben und Uliana im Wohnzimmer am Tablet still ihre Hausaufgaben macht, zählt Schiller Aufgaben als Helferin auf: Spenden organisieren, die Kinder für nach Ostern in den Schulen anmelden – „Wir haben da keine Zeit verloren“ –, Hartz-IV-Anträge durchackern. Seit dem Sommer fahren die beiden Frauen zum Deutsch-Kursus bei der Kreisvolkshochschule. Und einen Minijob in der Gastronomie haben sie auch.

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Inzwischen ist Sandra Schiller nicht mehr nur die Flüchtlingshelferin. Daraus ist längst Freundschaft geworden. Sie unternehmen immer wieder gemeinsam etwas: Beim Stadtbummel in Celle das Fachwerk bestaunen, in Wolfsburg die vielen wilden Kaninchen – und dann das viele Grün in den Städten. Tanja schwärmt von Braunschweig: „Meine Lieblingsstadt.“

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Dennoch ist für Marianna und Tanja die Frage nach ihrer Zukunft schwer zu beantworten. Die Ukraine ist ihre Heimat, in der die Familien und Freunde leben. Sie sind hin- und hergerissen. Doch für sie steht auch fest: „Solange es in der Ukraine gefährlich ist, gibt es keinen Weg zurück.“

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