Wenn Okapi, dann Tod: der Kinofilm „Was man von hier aus sehen kann“
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Ihre Träume sind gefährlich: Corinna Harfouch als Großmutter Selma in einer Szene des Films „Was man von hier aus sehen kann“.
© Quelle: Frank Dicks/Studiocanal GmbH/dpa
Das Okapi ist ein seltenes Tier, das nur in den äquatorialen Regenwäldern des Kongos vorkommt. Aber auch wenn Aron Lehmanns Kinofilm „Was man von hier aus sehen kann“ nicht in Zentralafrika, sondern im Westerwald angesiedelt ist, spielt das Okapi eine wichtige Rolle. Denn immer wenn das Tier Selma (Corinna Harfouch) im Traum erscheint, stirbt in den nächsten 24 Stunden ein Mensch im Dorf.
Die mystischen Vorhersehungen gehören im Ort längst zur Normalität. Die letalen Folgen eines Okapi-Traums würde niemand anzweifeln. Am Postbriefkasten bildet sich eine lange Schlange, weil alle präventiv einen Abschiedsbrief schreiben, den sie – nachdem der Tod seine Arbeit verrichtet hat – ebenso panisch wieder zurückhaben wollen.
Einen märchenhaften Dorfkosmos baut Lehmann auf und bevölkert ihn mit einem guten Dutzend skurriler Charaktere. Da ist Selmas seltsam verhuschte Enkelin Luise (Luna Wedler), aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird. Wenn sie etwas sagt, was sie selbst nicht glaubt, fällt etwas von der Decke oder aus dem Himmel herab. Der namenlose Optiker (Karl Markovics) hört Stimmen in seinem Kopf und fängt jeden Tag einen Brief an seine heimliche Liebe Selma an, ohne ihn zu Ende zu bringen. Die missmutige Marlies (Rosalie Thomass) hat immer schlechte Laune und keiner weiß, warum. Die abergläubige Elsbeth (Hansi Jochmann) beherbergt buddhistische Mönche in ihrem Haus, die in kleinen Prozessionen durch Dorf und Wald wandeln.
Als Vorlage für den Film diente Mariana Lekys gleichnamiger Roman, der sich über zwei Jahre in den Bestsellerlisten hielt. Lekys märchenhafte Erzählweise ruft förmlich nach einer filmischen Umsetzung. Regisseur Aron Lehmann gehörte seit seinem originellen Debüt „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ (2011) zu den interessanteren Nachwuchstalenten und hat in dem Cyrano-Update „Das schönste Mädchen der Welt“ (2018) sowie der Komödie „Jagdsaison“ (2022) sein unkonventionelles Profil geschärft.
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Hier will er dem unorthodoxen Geist der literarischen Vorlage gerecht werden. Die Zeichnung der schrägen Figuren und ihrer Neurosen gelingt ihm dank einer lebhaft aufspielenden Besetzung bestens. Auch die Ausstattung, die aus Originallocations kunstvoll einen märchenhaften Mikrokosmos webt, unterstützt den surrealen Grundton der Erzählung.
Doch führt die Rückblendendramaturgie, mit der Lehmann die mehr als 20 Lebensjahre umfassenden Romanteile ineinander verschränkt, zu einer zunehmenden Materialermüdung. Auch der Off-Kommentar mit eingeschleusten Buchzitaten wirkt überdosiert. So entwickelt sich „Was man von hier aus sehen kann“ zu einem durchwachsenen Kinoerlebnis, das sich erfolgreich von tragikomischen Formatvorlagen des deutschen Films löst, aber nicht zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügt.
„Was man von hier aus sehen kann“, Regie: Aron Lehmann, mit Luna Wedler, Corinna Harfouch, Karl Markovics, 109 Minuten, FSK 12