Erinnerung an den „Herr der Ringe“-Schöpfer

Er gab den Elben eine Sprache: Vor 50 Jahren starb J. R. R. Tolkien

Sein Ziel war, eine Mythologie für seine Heimat England zu schaffen, keinen Bestseller. Vor 50 Jahren starb Sprachgenie und Fantasy­autor J. R. R. Tolkien. Die Welt, die er schuf, fasziniert bis heute Millionen von Menschen.

Sein Ziel war, eine Mythologie für seine Heimat England zu schaffen, keinen Bestseller. Vor 50 Jahren starb Sprachgenie und Fantasy­autor J. R. R. Tolkien. Die Welt, die er schuf, fasziniert bis heute Millionen von Menschen.

Der englische Philologe John Ronald Reuel Tolkien glaubte fest, sein Name stamme von dem deutschen Wort „tollkühn“ ab. Und wiewohl er selbst gewiss keine Mantel-und-Degen-Existenz führte, so rief er doch zahllose solcher Figuren ins Leben – die mutigen Hobbits Bilbo und Frodo, den eleganten Elb Legolas, den Zwerg Gimli, den Thronfolger Aragorn. Niemand hätte sich vorstellen können, dass der an nordischen und englischen Sagen und märchenhaften Geschichten interessierte junge Akademiker, dessen erste Publikation 1922 das Wörterbuch „A Middle English Vocabulary“ war, eines Tages eine ganze Welt erschaffen und den wohl beliebtesten Roman des 20. Jahrhunderts vorlegen würde – einen Dauer­bestseller.

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Zuvörderst schrieb Tolkien seine Geschichten für sich

Am Samstag (2. September) vor 50 Jahren starb J. R. R. Tolkien an einer Lungen­entzündung, die auf die Behandlung eines Magen­geschwürs folgte. Zeitlebens sah er sich vorzugsweise als Akademiker, heute wäre wohl die inzwischen zunehmend auch bewundernde Bezeichnung Nerd zutreffend. Der 1892 in Bloemfontein in Südafrika geborene Sohn eines englischen Bankmanagers schrieb seine Fiktionen zuerst für sich selbst – zeitlebens wurden aus dem frei erfundenen Teil seines Werks nur „Der Hobbit“ (1937, dt. 1957), „Blatt von Tüftler“ (1945), „Bauer Giles von Ham“ (1949) und die „Herr der Ringe“-Trilogie (1954/1955, dt. 1969/1970) veröffentlicht – alles andere kam postum.

Setzt bis heute den Maßstab in der epischen Fantasy: Das Cover von „Der Herr der Ringe“ von  J. R. R. Tolkien, erschienen 2001 als Neuauflage mit dem Cover der deutschen Erstausgabe von 1969 (undatierte Aufnahme). Heute vor 50 Jahren starb Tolkien.

Setzt bis heute den Maßstab in der epischen Fantasy: Das Cover von „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien, erschienen 2001 als Neuauflage mit dem Cover der deutschen Erstausgabe von 1969 (undatierte Aufnahme). Heute vor 50 Jahren starb Tolkien.

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Dabei hatte Tolkien schon seit den Jugendjahren an einer eigenen Mythologie getüftelt. Es war dem Sprach­wissenschaftler vor allem eine Freude, die Sprachen seiner Elben, Quenya und Sindarin, zu erfinden, deren Phonologie, deren Lautwandlungen. Er hinterließ Grammatik, Lexika und Wörterbücher – Zement für seinen Fantasie­palast, der so ein solideres „Bauwerk“ wurde als die Werke vieler literarischer Nachfahren.

Als er starb, war Tolkien im englischsprachigen Raum ein Dauerbestseller

Als Tolkien zu Grabe getragen wurde, rollte sein Ruhm in Deutschland erst richtig an. Im englisch­sprachigen Raum indes war er längst berühmt. Schon damals verkauften sich von „Herr der Ringe“ verlässlich Jahr um Jahr eine Million Exemplare in den USA und rund 500.000 in Großbritannien. Die Einnahmen ermöglichten dem Gelehrten und Dauer­bestseller im fortgeschrittenen Alter das Reisen, und die Stimmen, die ihm wohl Gelehrtheit und Dichte seiner „Ringe“-Bücher zu-, ihm zugleich aber Dichtkunst von höherer Qualität absprachen, fochten ihn nicht an.

Auch auf den Vorwurf eines Englisch­dozenten, der 1972, ein Jahr vor Tolkiens Ableben, monierte, seine Bücher leisteten nur einer „Weltflucht“ Vorschub, brauchte er nicht groß zu reagieren. Das taten schon seine Fans, die der britischen Post säckeweise an übellaunigsten Protest­leserbriefen zukommen ließen, wie die Tageszeitung „Guardian“ anlässlich seines Todes schrieb.

Tolkien betrat ein lange verschlossenes literarisches Land

Tolkien betrat ein lange verwittertes und verschlossenes literarisches Land. Mit den Märchen für ein erwachsenes Publikum war es seit viktorianischen Zeiten in Großbritannien steil bergab gegangen. Seit Thomas Malorys „Le Morte D’Arthur“ aus dem 15. Jahrhundert und Edmund Spensers Arthursagen-Version „The Faerie Queene“ (1590/1596) war auch das große englische Heldenepos verblasst.

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Tolkien war die potenzielle Lok der High-Fantasy-Saga des 20. Jahrhunderts, es hatte bis dahin noch keinen Zug gegeben, auf den man aufspringen konnte. Entsprechend hätten seine Verleger, als der Wissenschaftler ihnen sein Vorhaben präsentierte, „einen besorgten Aufschrei“ hören lassen. Unkalkulierbar, das Ganze.

Drei Jahre nach der „Ring“-Trilogie kam T. H. Whites „Camelot“-Saga

Kleine Leute, die gemeinsam Unfassliches vollbringen, waren Tolkiens Attraktionen. Der Hobbit Frodo, der es schafft, den unseligen Ring des Teufels Sauron in den Berg zu werfen, in dessen Feuerschlund er schmilzt und die Macht des Bösen bricht – in diesem Grundtopos des Märchenhaften, in der Hoffnung und Behaglichkeit stiftenden „Fellowship of the Ring“ um Frodo sahen viele (was Tolkien verneinte) die Allianz der Demokratien (plus Sowjetunion) gegen Faschismus, National­sozialismus und das brutal expansionistische Japan gespiegelt. Ein Bekenntnis zum Frieden, für viele, auch für die Blumenkinder der Sechziger­jahre war die „Ring“-Trilogie damit ein Roman in biblischem Rang.

Der Zug fuhr an. Schon drei Jahre nach Tolkiens Trilogie­abschluss, 1958, kam mit T. H. Whites „Der König auf Camelot“ eine mehrbändige, wunderbare Version der Artus-Sage auf den Markt, und heute zieht die Lok Tolkien zahllose Waggons. Niemand zählt im Fantasy­gewerbe etwas, wenn seine Story nur ein einziges Buch abwirft.

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Tolkiens Ruhm wird seit 20 Jahren durch Filme und Serien befeuert

Rund 150 Millionen Exemplare der Trilogie sind verkauft. Tolkien ist inzwischen überall, seine Figuren gibt es in Kunststoff­versionen verschiedener Größen. Aragorns Schwert Andúril (elbisch für Westglanz) hängt als Nachbildung in vielen Jugend­zimmern, Menschen tragen nicht nur Tolkien-T-Shirts, sie lassen sich die Silhouetten der „Gefährten des Rings“ auch opulent auf den Unterarm tätowieren. Seit der neuseeländische Regisseur Peter Jackson die Trilogie in drei monumentale, mit insgesamt 17 Oscars gekürte Kino­dreistünder verwandelte (2001 bis 2003), sind neue Generationen auf die Bücher aufgesprungen. Eine Dekade später brachte Jacksons arg gedehnte, ebenfalls drei Filme umfassende „Hobbit“-Adaption (2012 bis 2014) weitere frische Fanscharen.

Beren und Lúthien: Nicholas Hoult spielte 2019 in dem Film „Tolkien“ die Titelfigur des Philologen und Vaters der High Fantasy, Lily Collins seine Frau Edith.

Beren und Lúthien: Nicholas Hoult spielte 2019 in dem Film „Tolkien“ die Titelfigur des Philologen und Vaters der High Fantasy, Lily Collins seine Frau Edith.

Und der Streamingdienst Amazon Prime Video hat als Schlacht­schiff seiner Serien­armada seit dem Vorjahr die auf Tolkien-Begleittexten beruhende Serie „Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ im Portfolio, die die Vorgeschichte zu „Der Herr der Ringe“ erzählt, wie Sauron etwa 1000 Jahre vor den Ereignissen der „Ring“-Trilogie zum ersten Mal nach der Weltherrschaft griff. Passt in die Zeit der neuen bösen Weltblüte von Angriffs­kriegern, Diktatoren, Populisten, hochrangigen Wahrheits­verdrehern und einem in vielen Landen – nicht zuletzt auch bei uns – Erstarken faschistoider Parteien.

Einmal trafen sich bei Tolkien Mittelerde und die wirkliche Welt

Beerdigt wurde Tolkien auf dem Wolvercote-Friedhof in Oxfordshire, an der Seite seiner Lebensliebe Edith Mary Tolkien, die er 1916 geheiratet hatte, mit der er vier Kinder hatte und die nur zwei Jahre vor ihm verstorben war. Unter den Grabinschriften stehen die Namen Lúthien und Beren -eine Elbin und ein Mensch des Ersten Zeitalters, deren schöne und traurige Liebes­geschichte der selbst in die Elbin Arwen verliebte Mensch Aragorn im „Herrn der Ringe“ sang und deren Geschichte Tolkiens Sohn Christopher 2017 aus Schriften seines Vaters in Buchform herausbrachte.

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Lúthien nannte Tolkien seine Frau, so heißt es, Beren nannte sie ihn. Hier, trafen sich Tolkiens Fantasie und sein wahres Leben. Nach dem Tod der geliebten Edith lebte Tolkien auf den eigenen Tod zu, müde und vom Schicksal geschlagen, wie Bekannte bezeugten.

Die Mission von Tolkiens Gefährten ist ein Auftrag für alle Zeiten

„Es ist nicht unsere Aufgabe, alle Gezeiten­wechsel der Welt zu meistern, sondern das zu tun, was immer wir in den Jahren, in denen wir leben, tun können, indem wir die Übel auf den Feldern, die wir kennen, ausrotten, damit diejenigen, die danach leben, eine reine Erde zum Bestellen haben. Über das Wetter, das sie haben werden, können wir nicht bestimmen“ lautet ein hier aus der englischen Ausgabe von „Herr der Ringe“ übersetztes Zitat von Gandalf, dem guten, gestrengen und weisen Zauberer.

Die Mission der Gefährten ist ein Auftrag für alle Zeiten, kein Betrachten der Hitler-Ära im Zauberspiegel. Tolkien, den „Tollkühnen“, zu lesen, lohnt immer, besonders in unseren Zeiten, wo überall auf der Welt Populisten und Rechtsextremisten Zulauf finden. Immer muss ein Ring in einen Berg. Mittelerde ist überall und allezeit.

* dies ist eine aktualisierte Version des Textes. Bei einer von zwei Erwähnungen des Hobbits Frodo Beutlin hatte sich ein Flüchtigkeitsfehler eingeschlichen. Einmal wurde er als Hobbit bezeichnet, einmal als Elb. Selbstverständlich handelt es sich bei ihm weder um einen Elb noch um einen Gestaltwandler sondern tatsächlich um einen Hobbit (Nachtrag vom 3. September, der Fehler wurde korrigiert)

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