Rockstar auf ungewohnter Bühne

Auf Wunsch von Putin: Ex-Pink-Floyd-Mitglied Roger Waters spricht vor dem UN-Sicherheitsrat

Roger Waters, Mitbegründer und Bassist der Rockband Pink Floyd, schaut in die Kamera.

Rocklegende bei den Vereinten Nationen: Die russische Seite lud das Ex-Pink-Floyd-Mitglied Roger Waters (Archivbild) zu einem Briefing in den UN-Sicherheitsrat ein.

Roger Waters im UN-Sicherheitsrat? Putin verpflichtet jetzt sogar den Rock‘n‘Roll für seine Propaganda, so wollte es scheinen: Waters, früherer Bassist, Sänger und Songwriter der legendären britischen Rockband Pink Floyd, solle am Mittwoch (8. Februar) um 16 Uhr vor dem UN-Sicherheitsrat sprechen, wurde seitens der Nachrichtenagentur Reuters bekannt. Der Auftritt erfolge – wie dann auch verschiedene Medien berichteten – auf Bitten der russischen Regierung. Waters solle bei den UN seine Besorgnis über die Waffenlieferungen der Ukraine zum Ausdruck bringen.

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UN-Auftritt per Video: Waters verurteilt sowohl Russland als auch „Provokateure“

Und so referierte Waters also am Mittwochnachmittag tatsächlich im UN-Sicherheitsrat – via Videoschalte - ohne dabei aber völlig einseitig Partei für Russland zu ergreifen: „Russlands Invasion der Ukraine war rechtswidrig, und das verurteile ich“, hob Roger Waters im UN-Sicherheitsrat an. Er relativierte aber auch: „Die Invasion war nicht unprovoziert, daher verurteile ich auch die Provokateure aufs Härteste.“

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Waters wandte sich direkt an die Präsidenten Putin, Selenskyj und Biden, wie zuerst die „Berliner Zeitung“ berichtete. Sein Wunsch sei Frieden auf der Welt, den man nur durch Friedensverhandlungen, nicht aber durch Waffenlieferungen erreichen könne. „Wir ziehen nicht unsere Söhne und Töchter auf, um sie zu Kanonenfutter werden zu lassen.“

Ukrainische Todesliste? Schon 2022 äußerte sich Waters seltsam zum Krieg

Das Terrain schien unangemessen für Waters, und unklar war auch, was der Auftritt überhaupt bewirken sollte. Die Frage, die sich zudem stellte, war, ob die russische Seite ihre Chancen inzwischen für so schlecht hält, dass sie einen berühmten westlichen Rockmusiker für sich eintreten lassen muss. Vielleicht hatte Russland sich etwas mehr erhofft, als Waters dem Aggressor schließlich anbot.

Im Spätsommer des Vorjahres hatte sich der Musiker in einem offenen Brief an die First Lady der Ukraine, Olena Selenska, gewandt. Darin hatte er geschrieben: „Brandbeschleuniger in Form von Waffen in ein Feuergefecht zu werfen hat in der Vergangenheit nie dazu beigetragen, einen Krieg zu verkürzen. Und das wird auch diesmal nicht funktionieren.“

Dem amerikanischen Musikmagazin „Rolling Stone“ hatte Waters im Vorjahr in einem Interview erklärt, dass seiner Ansicht nach die Nato Schuld an dem russischen Einmarsch in der Ukraine trage. Er selbst stehe wegen seiner Haltung auf einer ukrainischen Todesliste. Die Wahrheit des Westens zum Krieg sei keine, und was die Medien des Westens zum Krieg verbreiteten, sei nur Propaganda. Und dann noch das: „Ich kenne die Wahrheit. Und ich bin sicher, dass ich damit richtig liege.“

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Waters wird Antisemitismus vorgeworfen – Vergleiche mit Ezra Pound

In der „Berliner Zeitung“ war dann am vorigen Wochenende noch ein Interview veröffentlicht worden, in dem Waters die Aussagen von 2022 bekräftigte. Da sah Waters Amerikas Politik seit Ende des Zweiten Weltkriegs als verderblicher an als die gegenwärtige russische. Schließlich, so die Logik Waters‘, habe Putin weder Vietnam noch den Irak attackiert. In der Ukraine laufe ein „Stellvertreterkrieg“, die USA seien der „Hauptaggressor“. Die UN-Rede war da ein Stück weit moderater.

Waters hatte in den vergangenen Jahren immer wieder seine Ansichten zu politischen Themen kundgetan. Speziell bei seinen Statements zur Politik des Staates Israel wurde ihm wiederholt Antisemitismus vorgeworfen. Ein Autor des „Jewish News Syndicate“ verglich Waters erst am Dienstag in einem Essay mit Ezra Pound, dem amerikanischen Dichter, der sich als Propagandist des italienischen Faschismus unter Mussolini betätigt hatte. Von „schlimmer antisemitischer Hetze“ auch bei seinen Auftritten schreibt die Deutsch-Isralische Gesellschaft Berlin und Brandenburg: Derzeit gibt es Aufrufe, die für Mai geplanten Deutschlandkonzerte von Waters abzusagen.

Frühere Songtext-Helferin Polly Samson: „Genug von deinem Blödsinn!“

Polly Samson, gefeierte britische Schriftstellerin („Kissenschlacht“, „Sommer der Träumer“), Ehefrau von Waters‘ früherem Pink-Floyd-Kollegen David Gilmour und gelegentliche Texthelferin bei Pink-Floyd- und auch Waters-Songs, hatte erst vor zwei Tagen via Twitter eine Art Abrechnung gepostet – möglicherweise war das Berliner Interview, das Waters ins Englische transkribiert und auf seine Website gestellt hatte, der Auslöser gewesen: „Traurigerweise, Roger Waters“, wandte Samson sich in dem Kurznachrichtendienst an den Musiker, „bist du durch und durch antisemitisch. Außerdem bist du ein Putin-Apologet und ein lügender, diebischer, heuchlerischer, steuervermeidender, lippensynchronisierender, frauenfeindlicher, völlig irrer, kranker Neidhammel. Genug von deinem Blödsinn.“

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Von Waters war zu hören, er bestreite Samsons Aussagen. In einem Statement auf seinem Twitter-Account war von „aufwieglerischen und grundfalschen Kommentaren“ die Rede. Der Künstler lasse sich derzeit beraten.

Der Krieg steckte Roger Waters zeitlebens in den Knochen

Krieg und Roger Waters – das ist auch eine lebenslange Geschichte, die sich sogar künstlerisch niederschlug. In der Single „When The Tigers Broke Free“ von 1982 – aus dem Kinofilm zum Album „The Wall“, später den CD-Versionen von Pink Floyds „Wall“-Nachfolgealbum „The Final Cut“ zugeschlagen – erzählte Waters vom Tod seines Vaters Eric Fletcher Waters im Zweiten Weltkrieg – 1944 bei der alliierten „Operation Shingle“ in der Nähe des italienischen Anzio.

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Die deutschen Panzer (Tiger) brachen durch, die gesamte Kompanie Z seines Vaters wurde getötet. Die Schuld sah der 1943 geborene Waters an leichtsinnigen und Menschenleben verachtenden Kommandeuren der eigenen Seite, die Mahnungen zum Abzug der britischen Kräfte in den Wind geschlagen hatten. Die Nazi-Truppen, das Dritte Reich als Verursacher des Weltkriegs und Millionensterbens, bleiben im Song nur Panzer, „the tigers“ – gesichtslos. Der letzte Satz des Songs lautet „And that‘s how the High Command took my daddy from me“ (und auf diese Weise nahm mir das Oberkommando meinen Vater).

So findet man hier den durch Vaterlosigkeit von Kindesbeinen an kriegstraumatisierten Waters im eigenen Werk. Eine böse Äußerung des britischen Kriegspremiers Winston Churchill über das lang anhaltende Patt von „Shingle“ – „Ich hatte gehofft, wir werfen eine Wildkatze ans Ufer, aber wir haben nur einen gestrandeten Wal“ – dürfte Waters darin bestärkt haben, dass die auch im Songtext erwähnten Beileidsbezeugungen und postumen Ehren der Regierung für die Gefallenen gegenstandslos seien. Zynismus erzeugt Wut.

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David Gilmour brachte einen Pro-Ukraine-Song - unter dem Logo Pink Floyd

David Gilmour, zweites Oberhaupt von Pink Floyd, der die Band nach Waters‘ Ausscheiden noch durch zwei weitere Sessions, Alben und Touren führte, weiß Täter (Angreifer) und Opfer (Angegriffener) klar zu unterscheiden. Der Gitarrist, Sänger und Songwriter, der den Twitter-Schimpf seiner Ehefrau Polly Samson im Übrigen mit einem knappen „jedes Wort nachweislich wahr“ retweetete, hatte im April des Vorjahres ein berührendes musikalisches Statement für die angegriffene Ukraine veröffentlicht. Sänger des Lieds „Hey, hey! Rise Up!“ ist Andrij Chlywnjuk von der ukrainischen Band Boombox.

Chlywnjuk singt das Protestlied „Ой у лузі червона калина“ (Oh der rote Viburnum auf der Wiese) von 1914, während die Band um Gilmour und Mason im Studio spielt und Gilmour seine Gitarre weidlich träumen lässt.

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Das Video zum Song zeigt auch Bilder von Raketenangriffen, ukrainischen Ruinen und weinenden Menschen, und ganz am Ende sind kleine Kinder in der Ukraine zu sehen, die einen sofort an die Toten von Butscha, Mariupol und an den bombardierten Bahnhof von Kramatorsk denken lassen. Der Krieg ist – das sagt Gilmours Botschaft – vor allem gegen die Schwächsten gerichtet, die Angreifer vergewaltigen und töten ukrainische Frauen und Kinder. Um dem mehr Wirkung zu verschaffen (und weil Nick Mason am Schlagzeug dies legitimierte), wurde das Lied unter dem monumentalen Bandnamen veröffentlicht. Möglicherweise ist es der letzte Pink-Floyd-Song.

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Waters: „Inhaltsloses Schwenken der blau-gelben Flagge“

In einem Interview zu der Aufnahme kritisierte Waters an dem Lied „fehlende Menschlichkeit“. Es handele sich um „ein inhaltsloses Schwenken der blau-gelben Flagge“. Viele Fans monierten zudem die Verwendung des Pink-Floyd-Namens, wo Keyboarder Richard Wright doch tot und Waters nicht mit von der Partie sei. Fraser Lewry, Journalist beim Magazin „Classic Rock“, hielt diesen Stimmen entgegen: „Wenn Tausende getötet werden und Millionen aus ihren Heimen fliehen mussten, ist es im besten Falle unhöflich, über die Abwesenheit eines Bandmitglieds [Waters] zu jammern, das vor 37 Jahren gegangen ist. Schlimmstenfalls ist es eine Verachtung des Leidens.“

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Pink Floyd wurden 1965 gegründet. Die Band zählte bald zu den kreativen Speerspitzen im London der Swinging Sixties und schuf mit „The Piper At the Gates of Dawn“ (1967) und „A Saucerful of Secrets“ (1968) Meisterwerke des Psychedelic-Rock. Nach dem drogenbedingten Ausscheiden des ersten Masterminds Syd Barrett wurden Gilmour und Waters zu den Köpfen der Band – mit den Alben „The Dark Side of The Moon“ und „Wish You Were Here“ (1975) stiegen Pink Floyd dann zu einer der größten Rockbands der Welt auf. Nach seinem Ausstieg 1985 verfolgte Waters eine Solokarriere, deren musikalischer Output weniger erfolgreich und weltbewegend war. Die Setlists von Waters-Konzerten sind sehr Pink-Floyd-durchwirkt – 17 von 24 Songs seines bislang letzten Konzerts – im Palacio de los Deportes in Mexiko City vom 15. Oktober 2022 – stammten aus dem Portfolio der Band.

Als bekannt wurde, dass Waters am Mittwoch die Vereinten Nationen als Bühne für seine Sicht der russisch-ukrainischen Dinge nutzen wolle, kommentierte ein anonym bleiben wollender Diplomat im Sicherheitsrat dies gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters mit in Sarkasmus gehüllte Verwunderung: „Die russische Diplomatie war früher einmal ernsthaft. Was kommt als Nächstes? Mr. Bean?“ Man darf gespannt sein.

* In einer früheren Fassung des Textes war nicht erwähnt worden, dass der Auftritt des Musikers vor dem UN-Sicherheitsrat per Video-Zuspielung erfolgt war. So konnte der Eindruck entstehen, Roger Waters si physisch in dem Gremium anwesend gewesen. Was nicht der Fall war.

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