Kein „Lifestylemedikament"

Semaglutid: Ist dieses Medikament der ersehnte „Gamechanger“ bei Adipositas?

Anwendung wie beim Diabetesmittel (im Bild): Mithilfe eines Fertigpens wird Semaglutid unter die Haut gespritzt.

Anwendung wie beim Diabetesmittel (im Bild): Mithilfe eines Fertigpens wird Semaglutid unter die Haut gespritzt.

„Hey, Elon Musk, was ist dein Geheimnis?“, wird der Tesla-Chef vergangenes Jahr auf Twitter gefragt. „Du siehst fantastisch aus, fit, durchtrainiert und gesund.“ Seine Antwort: „Fasten. Und Wegovy.“ „Wegovy“ – das ist nicht der Name eines Fitnessstudios, eine neue Sportart oder eine besondere Diät. Es ist ein Medikament des dänischen Pharmaunternehmens Novo Nordisk, ursprünglich eingesetzt zur Therapie von Diabetes mellitus Typ 2. Seit zwei Jahren ist es in den USA für Menschen mit Adipositas zugelassen – und hat seinen Weg mittlerweile auch nach Europa gefunden. Seit Januar vergangenen Jahres hat es eine Zulassung der EU-Kommission.

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Spritz dich schlank – so könnte man die Wirkungsweise des Arzneimittels zusammenfassen. Einmal wöchentlich müssen sich die Anwenderinnen und Anwender eine Injektionslösung mithilfe eines Fertigpens unter die Haut spritzen. Bei der Lösung handelt es sich um den Wirkstoff Semaglutid. Dieser ahmt die als Inkretine bekannten Hormone nach, die den Blutzucker senken und den Appetit zügeln. Dass sich so tatsächlich Gewicht abnehmen lässt, hatte Mitte Dezember vergangenen Jahres eine Studie im „New England Journal of Medicine“ gezeigt: Bei einem Drittel der 12- bis 18‑jährigen Teilnehmenden, die den Wirkstoff mehr als ein Jahr lang verwendet hatten, verringerte sich das Körpergewicht um mindestens 20 Prozent – wenn zusätzlich der Lebensstil geändert wurde. Ähnliche Ergebnisse hatte vor zwei Jahren eine Studie mit Erwachsenen geliefert.

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Immer mehr Menschen haben starkes Übergewicht

Für Matthias Blüher ist Semaglutid ein „Gamechanger“. „Die medikamentöse Therapie von Adipositas war lange Zeit sehr schwierig in Deutschland“, sagte der Leiter der Adipositasambulanz für Erwachsene an der Uniklinik Leipzig. Zum einen, weil es kaum wirksame Medikamente gegeben habe, zum anderen, weil die Medikamente, die es gab, wegen Sicherheitsbedenken zum Teil wieder vom Markt genommen worden seien. „Wir haben dringend nach Medikamenten gesucht, die besser verträglich und wirksamer sind.“

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Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) galten im Jahr 2016 etwa 40 Prozent der Erwachsenen als übergewichtig, 13 Prozent als fettleibig. Damit hat sich die weltweite Fettleibigkeit seit 1975 fast verdreifacht. Übergewicht und Adipositas stellen für den menschlichen Körper eine enorme Belastung dar. Sie gehen mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Schlaganfällen sowie Diabetes mellitus und bestimmte Krebsarten wie Brust-, Prostata- oder Leberkrebs einher.

Experten warnen: Semaglutid nicht unkontrolliert anwenden

Semaglutid könnte folglich unzähligen schweren Krankheiten und damit verbundenen Todesfällen vorbeugen. Oder verhindern, dass sich Menschen mit starkem Übergewicht einer Operation unterziehen müssen. Jedoch warnte die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) zuletzt davor, es als Lifestylemedikament anzusehen und unkontrolliert zu nutzen. Die Anwendung setze entweder einen Body-Mass-Index (BMI) von 27 oder höher mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung wie Bluthochdruck voraus oder einen BMI von 30 oder höher, jeweils in Verbindung mit einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität.

Der BMI – einfach berechnet, aber umstritten

Der Body-Mass-Index hilft dabei, das eigene Körpergewicht besser einzuschätzen. Benötigt werden nur zwei Parameter: das Körpergewicht in Kilogramm und die Körpergröße in Metern. Berechnet wird der BMI wie folgt: Körpergewicht geteilt durch Körpergröße zum Quadrat. Menschen mit einem BMI von unter 25 gelten als normalgewichtig, bei einem BMI von 25 bis 30 ist man übergewichtig, bei einem BMI über 30 sprechen Expertinnen und Experten von Adipositas. Allerdings steht die Formel seit Jahren in der Kritik. Denn berücksichtigt werden dabei lediglich die Körpergröße und das Gewicht und nicht Faktoren wie die Fettverteilung, das Alter oder das Geschlecht.

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„Die unkontrollierte Anwendung ohne Indikation ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden“, mahnte Harald J. Schneider, Sprecher der Sektion Angewandte Endokrinologie, der DGE. Dazu gehören etwa Übelkeit und Erbrechen, ebenso wie Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase. In Tierversuchen sei zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten festgestellt worden. Auch wisse man noch nichts über die Langzeitwirkung. „Diese Medikamente sollten nur spezialisierte Ärztinnen und Ärzte verschreiben – und auch nur, wenn die medizinische Notwendigkeit besteht und die Anwendung in der Folge sorgfältig überwacht wird.“

Adipositasmedikament noch nicht in Deutschland erhältlich

Es gibt noch jede Menge ungeklärte Forschungsfragen zu Semaglutid. Die Langzeitwirkung ist nur ein Aspekt, der aber maßgeblich darüber entscheidet, wie lange Betroffene das Medikament überhaupt einnehmen müssen. Bisher zeichnet sich ab, dass das Arzneimittel wohl ein Leben lang genommen werden muss, um das Gewicht zu halten. Wurde es abgesetzt und gleichzeitig der veränderte Lebensstil nicht beibehalten, erlangten einige Anwenderinnen und Anwender ihr verlorenes Gewicht schnell wieder zurück, wie erste klinische Studien zeigen konnten. Genauso ist noch unklar, wer auf die Behandlung am besten anspricht. Fest steht laut Blüher schon jetzt: „Es wirkt nicht bei jedem Menschen gleich gut.“

Eine weitere Herausforderung ist der Medikamentenpreis. In den USA kosten die Injektionen oft mehr als 1000 US-Dollar pro Monat – was aktuell in etwa 930 Euro entspricht. Ob solche Preisdimensionen hierzulande realistisch sind, sei schwer einzuschätzen, meint der Adipositasexperte. Bisher übernehmen die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung mit Semaglutid nicht. „Doch nur wenige Betroffene können die Kosten für die Behandlung langfristig aus eigener Tasche zahlen“, sagte Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) und ärztlicher Leiter am Adipositas-Centrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. „Die fehlende Kostenübernahme erschwert eine evidenzbasierte Behandlung enorm.“

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Noch haben Ärzte und Ärztinnen in Deutschland zudem keinen Zugang zu „Wegovy“. Formal zugelassen ist es in der EU bereits, erhältlich ist es jedoch noch nicht. Hersteller Novo Nordisk begründet dies mit Lieferschwierigkeiten. „Wir sitzen in den Startlöchern und haben eine Reihe von Patientinnen und Patienten, für die es infrage kommen würde“, sagte Blüher. Zwar gebe es noch andere Medikamente wie Liraglutid, die Ärztinnen und Ärzte verschreiben könnten. „Ganz hilflos sind wir nicht, aber wir würden uns schon freuen, wenn Semaglutid bald zur Verfügung stehen würde.“

In der ursprünglichen Version des Artikels wurde nicht deutlich, dass der Zugang zum Medikament „Wegovy“ in Deutschland noch erschwert ist. Wir haben dies am 12. Januar 2023 präzisiert. Außerdem haben wir den Beitrag um eine Stellungnahme von Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), ergänzt.

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