Virologen über das Coronavirus: Sehr ansteckend – und irgendwann so normal wie eine Erkältung
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Forscher suchen nach Impfstoffen gegen das Coronavirus.
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Es sind drastische Worte: “Es werden sich wahrscheinlich 60 bis 70 Prozent infizieren, aber wir wissen nicht, in welcher Zeit”, sagte der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité über die Risiken des Coronavirus für die Bevölkerung. Drosten zufolge ist das Virus (Sars-CoV-2) deutlich ansteckender als andere Lungenkrankheiten wie Sars. Denn Wissenschaftler haben mittlerweile herausgefunden, was das Coronavirus so tückisch macht: Im Gegensatz etwa zur schon länger bekannten Lungenkrankheit Sars vermehren sich die neuartigen Viren nicht in der Lunge, sondern im Rachen, wie Drosten erklärte.
Das birgt gleich zwei Risiken: Weil in der Lunge viel mehr Immungewebe als im Rachen ist, lösen Infektionen dort wesentlich schneller ein Krankheitsgefühl aus. “Die höchste Viruskonzentration im Rachenabstrich ist schon zu einer Zeit festzustellen, wenn die Symptome gerade erst beginnen”, sagte Drosten laut dem Tagesspiegel bei einer Veranstaltung in Berlin. Deshalb bestehe das Risiko, dass Infizierte ihre Erkrankung erst bemerken, wenn sie schon andere angesteckt hätten.
Andererseits führten die “enorme Menge an Virus” im Rachen auch zu einer hohen Ansteckungsgefahr. Während ein Infizierter spreche oder huste, gebe er Tröpfchen von sich. “Die fliegen vielleicht so 1,5 Meter weit und fallen relativ schnell zu Boden. Es ist das Einatmen einer solchen Wolke, die einen infiziert – in den meisten Fällen”, meint Drosten.
Wie tödlich ist das Coronavirus?
Wie gefährlich das Virus ist, ist für Fachleute weiterhin schwer einzuschätzen. “Da kann etwas nicht stimmen”, sagt von Drosten über die Datenlage aus China, derzufolge drei bis vier von hundert Patienten sterben – was mehr als bei der spanischen Grippe 1918 wäre. Vermutlich liege die Zahl aber nur so hoch, weil es viele unentdeckte Corona-Fälle mit mildem Verlauf gebe. Drosten – nicht Epidemiologe sondern Virologe, wie er selbst betont – schätzt die Sterblichkeit auf etwa 0,3 Prozent. “Dass es so wird wie die Spanische Grippe 1918, glaube ich nicht.”
Vor allem betont er aber, dass im Moment das Risiko, bei einem Kratzen im Hals eine Covid-19-Erkrankung zu haben, in Deutschland “unglaublich klein” sei – schlicht, weil es bislang vergleichsweise wenig Erkrankte und nur einige Infektionsherde gibt. “Im Moment haben wir eine sehr, sehr gute Chance, die einstweilige Verbreitung dieses Virus deutlich aufzuhalten.”
Hoffen auf den Sommer
Ob die Infektionswelle im Frühjahr oder Sommer von selbst abebbe, sei ungewiss, sagte hingegen Marylyn Addo, Leiterin der Sektion Infektiologie und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. “Wir wissen nicht, wo wir in zwei Monaten stehen”, erklärte sie gegenüber der Deutschen Presseagentur.
Drosten ist diesbezüglich verhalten optimistisch: Deutschland sei hervorragend auf eine Pandemie vorbereitet, glaubt er – und meint, dass so ein ganz großer Ausbruch noch eine Weile hinausgezögert werden könnte. In den kommenden wärmeren Monaten kämen noch helfende Effekte hinzu: “Die Wärme im Sommer, UV-Strahlen und die Tatsache, dass Leute vermehrt draußen sind und sich weniger aneinander infizieren können.”
Vorbereitungen auf den nächsten Winter
Die durch den Sommer gewonnene Zeit müsse aber genutzt werden, um für einen erneuten größeren Ausbruch in der zweiten Jahreshälfte gewappnet zu sein. Bis dahin müssten bestimmte Entscheidungen und Investitionen erfolgen: Personalpläne anpassen, bestimmte Geräte kaufen für schwerkranke Fälle, empfiehlt der Virologe. Auch die Industrie müsse sich auf den Bedarf bestimmter Produkte einstellen. Die Politik müsse nun schon entsprechend planen.
Zahlen aus China deuten laut Drosten darauf hin, dass die Coronavirus-Ausbreitung Ausmaße wie die großen Grippe-Pandemien 1957 und 1968 annehmen könnte. Das Muster mit einem Rückgang der Zahlen im Sommer und einem Wiederauftreten danach schließt auch Addo nicht aus. “Wahrscheinlich werden wir in ein paar Jahren einfach eine neue Erkältungserkrankung haben, mit der wir uns auseinandersetzen”, so die Medizinerin. “Und hoffentlich haben wir dann einen Impfstoff dafür”, meint Addo außerdem.
Mit einer Schutzimpfung rechnet Drosten frühestens im nächsten Jahr.
RND/dpa/hö