Swish – eine App schafft in Schweden das Bargeld ab
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Gähnende Leere an schwedischen Bargeldautomaten (Symbolfoto).
© Quelle: picture alliance / Alexander Farnsworth
Schweden. Doch, erzählt Helena Eriksson, sie habe schon noch ein Portemonnaie. Dort sei auch immer etwas Bargeld drin. Allerdings liege die Brieftasche eigentlich nur Hause herum, als eine Art Sicherheitsreserve. Helena arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule in Nordschweden. Sie ist eine Frau mittleren Alters mit eigener Familie, eigentlich nicht besonders technikaffin. Zum Einkaufen, in Restaurants, beim Bäcker oder beim Frisör bezahlt die Schwedin, so wie die große Mehrheit ihrer Landsleute, meistens mit einer App auf ihrem Handy. Oder mit der Karte. Bargeld hat sie im Alltag nie in der Tasche.
Viele Geschäfte und Gastronomen nehmen auch gar kein Bargeld mehr an. Kein Land Europas hat das Bargeld so weiträumig aus dem öffentlichen Leben verbannt wie Schweden. Im Jahr 2022 wurden in Schweden nur noch 8 Prozent der Zahlungen mit Münzen und Scheinen getätigt, das zeigen neue Statistiken der Sveriges Riksbank, der Zentralbank Swedens. „Die Zeit des Bargelds ist vorbei. Ich weiß kaum, welche Noten und Münzen gebräuchlich sind“, sagt Eriksson.
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Bargeld für die Alten und digitale Lösungen für die Jungen
Während die Bargeldliebe in Deutschland trotz Corona nicht enden will und es immer noch viele Geschäfte oder etwa Taxis gibt, die nur Bargeld als Zahlungsmittel akzeptieren, gilt in Schweden das Gegenteil: Nach Informationen der Riksbank sind jene Schweden, die noch Bargeld benutzen, oft ziemlich alt – und gelten als altmodisch. Schweden zahlen fast alles mit Karte oder mit dem Handy. Sicherheitsbedenken haben dabei die wenigsten. Das liegt wohl auch an der Art des Bezahlens.
Denn eine maßgebliche Rolle beim elektronischen Bezahlboom spielt eine mobile Bezahl-App namens Swish. Das Handyprogramm, das eigens von führenden Banken Schwedens entwickelt wurde, ermöglicht schnelle Zahlungen zwischen Bankkonten und verknüpft Kontonummern mit Mobiltelefonnummern. So kann man einfach Geld an eine Handynummer schicken.
Jedes Jahr steigt die Zahl der Menschen, die Swish verwenden, heute haben fast alle jungen Schweden die App auf ihrem Handy installiert. Auch die Fachleute der Sveriges Riksbank gehen davon aus, dass der Erfolg der App eng mit der einfachen Handhabung und der Schnelligkeit beim Geldtransfer verknüpft ist. Schweden verwenden sie nahezu überall: im Laden, auf dem Flohmarkt, in Cafés, bei der kirchlichen Kollekte, und wenn sie ihren Freunden Geld zurückzahlen. Wenn Schweden ins Ausland reisen, etwa nach Deutschland, erleben viele deshalb einen Kulturschock. „Ich bin immer ganz überrascht, wenn ich irgendwo nicht mit Karte oder meinem Handy bezahlen kann“, sagt Helena Eriksson.
Schweden ist wie ein Blick in die Zukunft
In Deutschland ist die Skepsis vor elektronischen Zahlungsmitteln nach wie vor vergleichsweise groß. Bargeld gilt als Symbol für Freiheit und auch Unabhängigkeit von staatlichen Stellen. Doch auch in Deutschland gab es Versuche der Banken, mobile Bezahlmöglichkeiten einzuführen. Kwitt ist ein Beispiel für eine Swish-ähnliche App. Ende 2022 nutzten mehr als vier Millionen Menschen Kwitt, laut Deutschem Sparkassen- und Giroverband e. V. Der Unterschied zu Swish besteht jedoch darin, dass es lediglich dazu verwendet werden kann, Geld an seine Freunde zu senden. Bezahlen im Restaurant oder im Taxi ist damit nicht möglich.
Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat Banken gefragt, warum mobile Bezahlmethoden in Deutschland nur zögerlich angenommen werden. Ingo Limburg, Marketingleiter von Eurokartensysteme, ein Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Banken und Sparkassen, sagt, in Deutschland sähen viele Bürger offenbar wenig Änderungsbedarf. Alle notwendigen Zahlungsmethoden seien eigentlich verfügbar, allerdings bestehe eine gewisse Unsicherheit darüber, was elektronische Zahlungsmethoden für den Datenschutz bedeuteten.
Limburg vermutet, dass die Deutschen in den nächsten Jahren den Wandel zum bargeldlosen Bezahlen vollziehen werden. „Wir hinken Schweden etwa fünf bis acht Jahre hinterher, aber ich denke, in zwei Jahren wird mobiles Bezahlen auch in Deutschland eine große Sache sein. Am Anfang wird es einige Proteste geben, aber irgendwann werden sich die meisten daran gewöhnen und mobile Zahlungen als Alternative zu anderen Zahlungsmethoden akzeptieren“, sagt Limburg.
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In Schweden sind die Möglichkeiten, mit Bargeld zu bezahlen, begrenzt – daher zahlen mehr Menschen stattdessen mit Karten oder mit dem Handy.
© Quelle: Benjamin Nolte
Ja zu Karten, nein zu Bargeld – warum ist das so?
In Schweden scheint es eine derartige Neigung zum Cash nicht zu geben. Warum ist das so? Der Weg in die bargeldlose Gesellschaft wurde in Schweden auch durch unterschiedliche Maßnahmen befördert. Expertinnen und Experten der Svenska Riksbanken nennen ein paar Beispiele. Zum einen hat Schweden einige Reformen durchgeführt, um die Steuerhinterziehung einzudämmen. Dadurch wurden Barzahlungen aufwendiger und damit weniger attraktiv.
Dann hat die Riksbank neues Bargeld eingeführt, die alten Münzen und Scheine wurden durch neue ersetzt. Auch das beförderte offenbar den Abschied vom Bargeld. Zeitgleich, und das ist der dritte Grund, haben die Banken die Swish-App eingeführt. „Ich habe das Gefühl, dass in letzter Zeit überall in Schweden nur noch bargeldlos bezahlt wird und dass niemand mein Bargeld akzeptiert. Das kann auch ein Grund sein, warum ich heute andere Zahlungsmethoden verwende. Mit einer Karte und dem Handy weiß ich, dass ich immer bezahlen kann“, sagt Helena Eriksson.
Insgesamt sind die Zahlungen in Schweden zudem bislang sicher. Laut Riksbanken gab es nur wenige Störungen und Unterbrechungen in dem Zahlungssystem, das Vertrauen ist dementsprechend hoch. „Ich habe das System nie hinterfragt und auch nie von Protesten dagegen gehört“, sagt Helena Eriksson.
Alte, Behinderte und Migranten sind betroffen
Doch es gibt auch Kritikerinnen und Kritiker des bargeldlosen Systems. Sveriges Konsumenter, eine Verbraucherorganisation in Schweden, warnt etwa davor, dass Menschen, die die digitalen und technischen Zahlungsmittel nicht verwenden wollen, in Schwedens bargeldloser Gesellschaft zunehmend abgehängt werden. Sie argumentiert zudem, dass in Notsituationen wie Krieg, Sturm oder Stromausfall der elektronische Zahlungsverkehr zum Erliegen kommen kann. Bargeld ist da sicherer. Eriksson, die selbst einen Notgroschen zur Sicherheit im Haus hat, kann sich ein Leben ganz ohne Bargeld dennoch gut vorstellen. „Für mich spielt es keine Rolle, ob das Bargeld wegfällt.“