Twitter-Chaos: Steht das Millennialnetzwerk Tumblr vor einem Comeback?
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Das Logo der Bloggingplattform Tumblr.
© Quelle: Alexander Pohl/NurPhoto/dpa
Hannover. Die Social-Media-Plattform Tumblr steht mindestens genauso für die 2010er-Jahre wie Songs von Lana Del Rey, Flashmobs und das Spiegelselfie. Euphorische Fancommunitys, quietschbunte Themenblogs, verrückte Meme-Seiten wie Loddar Holding Things bis hin zu Wahlkampfposts von Barack Obama waren hier in der Hochphase der Plattform zu finden – bis mehrere Eigentümerwechsel die Mikroblogging-Seite endgültig in die Bedeutungslosigkeit führten.
Tumblr war in Deutschland immer Nische, wenn überhaupt – und doch ein fester Bestandteil der Internetkultur der Generation Y. Sie prägte Trends, Mode und eine ganz eigene Internetästhetik – mit den neuen Hypes wie Snapchat oder Tiktok konnte die Plattform jedoch nie mithalten. War Tumblr einst für 1,1 Millarden US-Dollar an Yahoo verkauft worden, wurde es 2019 für gerade mal 3 Millionen US-Dollar verramscht – an Automattic, den Betreiber der einstigen Konkurrenzplattform Wordpress.
Eines jedoch könnte die bereits totgeglaubte Seite nun ins Rampenlicht zurückholen: Das Chaos beim Kurznachrichtendienst Twitter, ausgelöst durch dessen neuen Chef Elon Musk. Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer haben inzwischen angekündigt, ihre einstigen Tumblr-Profile zu reaktivieren – sogar bekannte Schauspieler und Influencer springen auf den Hype auf. Die Plattform selbst trommelt derweil selbstironisch die Werbetrommel.
Könnte Tumblr tatsächlich vor einem Comeback stehen?
Twitter, aber in Lang
Der Vorteil der Plattform: Sie war Twitter, was die Infrasturktur betrifft, schon immer recht ähnlich. 2006, und damit im selben Jahr wie Twitter, wird der Dienst vom US-Webmaster David Karp gegründet. Der Name leitet sich vom Wort Tumblelog ab, ein Synonym für Mikroblogging. Ähnlich wie bei Twitter können Nutzerinnen und Nutzer ohne große Vorkenntnisse Posts in die Welt setzen und sie mit Hashtags versehen – andere können diese liken oder reposten. Nur eine Kommentarfunktion gibt es anfangs nicht.
Der große Unterschied: Die Posts bei Tumblr sind nicht auf 140 oder 280 Zeichen beschränkt sondern können beliebig lang sein. Und: Als einzige Social-Media-Plattform überhaupt erlaubt Tumblr eine völlige Gestaltungsfreiheit der Beiträge, wie man sie sonst nur von klassischen Bloggingplattformen wie etwa Wordpress kennt. Texte können gefettet, mit Zwischenüberschriften versehen und in der Größe verändert werden, Posts können mit Bildern, Gifs und Videoschnipseln angereichert werden.
Auch das eigene Tumblr-Profil lässt sich frei gestalten. Wer sich mit Websiteprogrammierung auskennt, kann im Backend der Plattform sein ganz eigenes Profil zusammenschustern, alle anderen können auf individuelle Vorlagen zurückgreifen, die sich auch kostenpflichtig erwerben lassen. Erste Tumblr-Blogs sind bunt, quietschig und erinnern ein wenig an das längst untergegangene Netzwerk MySpace, das ähnliche Personalisierungen erlaubte.
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Tumblr ist Taylor Swifts Lieblingsnetzwerk
Genau diese Personalisierung macht Tumblr so beliebt: Die Nutzerbasis besteht vor allem aus Menschen unter 25, die mit ihrem Tumblr-Blog ihre Identität ins Internet tragen. Hier werden traurige Songzitate von Lana Del Rey gepostet, lange, nachdenkliche Blogposts über Gefühle – und Retro-Vintage-Bilder, lange bevor Instagram der Durchbruch gelingt. Die Plattform eignet sich für jede Nische, für jedes erdenkliche Interessengebiet – und um sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Über die Jahre entstehen Hunderttausende Fanartblogs sowie Seiten über Musikgruppen, Serien und Lieblingsfilme.
Auch zahlreiche große Künstlerinnen und Künstler springen auf den Hype auf. Taylor Swift etwa nutzt Tumblr intensiv, um ihre Fans auf dem Laufenden zu halten und über Neuigkeiten zu informieren. 2019 sagt Swift, Tumblr sei noch immer ihre bevorzugte Social-Media-Plattform. Der Dienst fühle sich eher an „wie eine Nachbarschaft als wie ein ganzer Kontinent“. Weitere prominente Nutzerinnen und Nutzer sind Ariana Grande, Lana del Rey, Lady Gaga, Soulja Boy und Lorde. Selbst US-Präsident Barack Obama verbreitet zeitweise seine Botschaften auf dem Mikrobloggingdienst.
Tumblr ist aber auch Ausdrucksplattform all derjenigen, die sonst eher seltener Gehör finden. Forscher der University Iowa haben herausgefunden, dass die Website insbesondere von LGBTQ+-Gruppen zum Aufbau von Gemeinschaften und als Ort zur Erforschung der Identitätsbildung verwendet wird. So posten hier etwa trans Personen ihre Erfahrungen mit der Geschlechtsangleichung.
Das Problem mit den Nacktinhalten
Zudem finden lange Zeit auch Erotikinhalte auf Tumblr ein Zuhause, die bei anderen sozialen Netzwerken für gewöhnlich schnell gesperrt werden. Beliebt sind diese vor allem bei Frauen und in der LGBTQ+-Community – Gruppen die sich von einschlägigen Erotikplattformen kaum angesprochen fühlen. Laut der Plattform Tech Crunch soll 2013 rund 22 Prozent des Datenverkehrs auf Tumblr auf Pornografie zurückzuführen gewesen sein.
Genau das bricht der Plattform schließlich jedoch das Genick. Werbekunden scheuen sich, auf Tumblr zu werben, weil sie nicht ausschließen können, dass ihre Anzeigen auf einem der zahlreichen Nacktblogs angezeigt werden. 2018 kommt es schließlich zum Supergau: Techriese Apple nimmt Tumblr aus seinem App-Store, weil illegale kinderpornografische Bilder auf dem Dienst gefunden wurden. Tumblr gelobt Besserung, entfernt daraufhin zahlreiche kritische Blogs – und verbannt Erotikinhalte schließlich gänzlich.
Viele Nutzerinnen und Nutzer haben fortan keine Lust mehr auf Tumblr. Die Website Similarweb schätzt, dass mit der neuen Anti-Nackheits-Richtlinie rund 30 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer abgewandert sind. Ein Jahr später, im August 2019, stößt die Verizon Media Group, die zuvor den Eigentümer Yahoo aufgekauft hatte, Tumblr ab und verkauft es für nur 3 Millionen Dollar an Automattic. Eine Rolle spielt das Netzwerk heute noch immer in der Nische – die großen Hype-Jahre sind aber lange vorbei.
Comeback wegen Elon Musk?
Das könnte sich jetzt ändern. Seit Elon Musk Twitter gekauft, tausende Mitarbeitende entlassen und zahlreiche Umbaupläne angekündigt hat, ist eine Abwanderungsbewegung in vollem Gange. Tausende Nutzerinnen und Nutzer, darunter auch zahlreiche Prominente wie Gigi Hadid, Toni Braxton und Shonda Rhimes, haben angekündigt, die Plattform zu verlassen. Nur die Alternativen sind bislang recht dürftig.
Das dezentrale Netzwerk Mastodon erweist sich bei vielen als wenig praktikabel: Die Server der Plattform sind angesichts des Ansturms überlastet, das Design wenig intuitiv und altbacken. Ganz im Gegensatz zur einstigen Hype-Plattform Tumblr.
Schauspieler Ryan Reynolds war einer der ersten, der sich in den vergangenen Tagen stillschweigend bei dem Netzwerk anmeldete. Mit einem Deadpool-Gif und den Worten „Oh hello, Tumblr“ begrüßte er die Community – 30.000 Menschen gefällt das.
Das Techportal Mashable vermutet, dass es sich bei Reynolds Seitenwechsel um einen stillen Protest gegen Elon Musk handeln könnte – und auch Kommentatorinnen und Kommentatoren auf der Plattform sehen das so. „Hattest du etwa keine 8 Dollar?“, schreibt hier jemand. Zum Hintergrund: Musk hatte kurz zuvor angekündigt, dass Nutzerinnen und Nutzer mit blauem Verifizierungshaken künftig für Twitter zahlen müssen.
Tumblr rührt die Werbetrommel
Auch in der Influencer- und Gaming-Community erfährt Tumblr einen Aufwind. Der britische Youtuber TommyInnit, hatte sich auf der Plattform angemeldet, weil Twitter angesichts Musks Übernahme „den Bach runtergeht“, wie er in einem Video erklärt. Satte 13.000-mal wurde der Willkommenspost des Influencers auf der Plattform inzwischen mit einem Like markiert. TommyInnit ist erst 18 Jahre alt – die Hochphase der Millennialplattform dürfte er wohl nie aktiv miterlebt haben.
Andere Nutzerinnen und Nutzer wiederum schreiben Anleitungen, wie genau man sich auf Tumblr registriert und was man dabei beachten sollte. @mon_chert hat dazu einen viel beachteten Twitter-Thread veröffentlicht. Auf der Plattform selbst werden die Neulinge willkommen geheißen. Der Nutzer evilmario666 schreibt in einem viel geteilten Post: „Keine Angst, wir haben keinen Elon Musk hier.“
Derweil rührt Tumblr selbst groß die Werbetrommel. In einem Tweet, der bislang fast 40.000 mal geliket wird, erklärt die Plattform für Neulinge, warum man sich dort anmelden sollte. Ein Grund: Die Timeline des Netzwerks ist noch immer chronologisch und nicht von Algorithmen bestimmt. Und: Es gebe – im Gegensatz zu Twitter – „einen Editierbutton, der kostenlos ist“.
Alles kommt irgendwann zurück
Noch scheint die Abwanderungsbewegung von Twitter zu Tumblr vergleichsweise klein – doch das Netzwerk trifft einen Nerv.
Magazine wie „Cosmopolitan“ und „Vogue“ hatten schon im Sommer beobachtet, dass die Tumblr-Ästhetik in Form von Mode auf Plattformen wie Tiktok und Co. ein Revival feiert. „Quartz“ berichtete, dass Tumblr auch bei Jüngeren wieder beliebter wird: 61 Prozent der neuen Tumbler-User waren Anfang dieses Jahres unter 24.
Tumblr selbst kündigte vor einigen Tagen an, man wolle die Antinackheitsregel wieder lockern. Pornografie solle zwar weiter verboten bleiben, aber immerhin sind „Inhalte für Erwachsene oder sexuelle Themen“ künftig wieder erlaubt.
Tumblr ist nicht Twitter
Was die Infrastruktur betrifft, wäre ein Wechsel von Twitter zu Tumblr auch kinderleicht. Für langjährige Twitter-Nutzerinnen und ‑Nutzer ist die Plattform nicht schwer zu erlernen, sie ähnelt ihr teilweise deutlich. Tumblr hat einen „Entdecken“-Feed, auf dem sich angesagte Blogposts finden lassen. Ein Algorithmus schlägt passende Blogs vor – und auch die Tumblr-Redaktion liefern kuratierte Tipps. Selbstverständlich lässt sich die Plattform auch nach Hashtags durchsuchen.
Sogenannte Trending Topics, also häufig besprochene Themen, sucht man auf Tumblr allerdings vergebens. Und auch auf Echtzeitnews und Politikthemen wie Twitter ist die Plattform bislang nicht wirklich ausgerichtet. Stattdessen findet man hier eher Comics, Gifs, Memes und Fanart.
Dies könnte am Ende auch der Grund sein, warum Tumblr eben nicht für jeden eine Alternative darstellt. evilmario666 macht in seinem Blogpost gleich ganz deutlich, was Nutzerinnen und Nutzer auf der Plattform zu erwarten haben: „Dies ist nicht Twitter. Dies ist nicht eure durchschnittliche Website für jeden Tag. Dies ist Tumblr. Wir sind verrückt. Wir sind komisch. Wir passen nicht rein. … Wir haben vergessen, was ‚normal‘ ist.“ Wer hier ein normales soziales Netzwerk erwarte, der sei hier sicher falsch.