Auf der digitalen Coach: Sind Online-Psychotherapien die Zukunft?

Eine Frau sitzt an einem Computer.

Bei Spielsucht, Depressionen, Angststörungen oder sozialen Phobien könnten Online-Therapien helfen.

Was auch immer sie erlebte, sah Hanna Gebauer, die eigentlich anders heißt, durch die Brille ihrer Grundüberzeugung: „Alles, was ich mache, ist falsch.“ Das sorgte bei der 21-jährigen Studentin für ständige innere Anspannung. Wurde der Druck zu groß, griff sie zu einer Rasierklinge und ritzte sich die Arme. Dadurch ließ nicht nur endlich die innere Anspannung nach – es war auch eine Art Bestrafung. Schließlich betrachtete sie sich als totale Versagerin.

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Das Forschungsprojekt STAR: Online-Therapien gegen psychische Probleme

Wenn Jugendliche und junge Erwachsene sich mit Klingen, Messern oder Feuerzeugen selbst verletzen, um einen inneren Druck abzubauen, wissen sie oft nicht weiter. Zu groß ist die Scham, die Probleme endlich den Eltern zu beichten. Und wo können Betroffene überhaupt Hilfe finden? Abhilfe will der Kinder- und Jugendpsychiater Paul Plener von der Medizinischen Universität Wien schaffen. In dem Forschungsprojekt STAR, an dem auch deutsche Einrichtungen wie das Universitätsklinikum Heidelberg beteiligt sind, stellt er eine Online-Psychotherapie für Jugendliche und junge Erwachsene mit selbstverletzendem Verhalten auf die Probe. „Diese Betroffenen nehmen die Hürden für eine Inanspruchnahme von Hilfe als relativ hoch wahr“, sagt Plener. Mit der Online-Therapie wollen die Forscher die Schwelle niedriger ansetzen, aber auch in ein Medium wechseln, das für Jugendliche und junge Erwachsene attraktiver und näher an ihrer Lebenswirklichkeit ist.

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Patienten bearbeiten Aufgaben und Übungen am Computer

Ob nun bei selbstverletzendem Verhalten, Depressionen oder Angststörungen: Es gibt für Menschen mit psychischen Störungen zunehmend mehr Möglichkeiten, sich auf eine virtuelle Therapiecouch zu legen. „Innerhalb des STAR-Programms können unsere Patienten zum einen freiwillig Termine für einen Chat oder Telefonate mit einem der Psychotherapeuten buchen“, sagt Jana Nusskern, Psychotherapeutin am Universitätsklinikum Heidelberg. Zum anderen bearbeiten die Patienten am Computer online selbständig Aufgaben und Übungen.

Einige Patienten haben Probleme, ihre Gefühle zu beschreiben

Auch Hanna Gebauer nahm an dem Online-Programm teil. Bei einer Aufgabe etwa musste sie erst ihr Problem bestimmen und sich Ziele setzen. Der Studentin ging es vor allem darum, die Auslöser für das selbstverletzende Verhalten zu erkennen und es auf diesem Weg zu verringern. In einer anderen Übung führte sie ein Tagebuch. Indem sie die eigenen Gefühle protokollieren, merken die Betroffenen, welche Gefühle überhaupt da sind. „Dabei kann sich etwa herausstellen, dass ein Patient bereits Probleme hat, die Gefühle überhaupt zu benennen“, sagt Nusskern. Im Falle von Hanna Gebauer stellte sich heraus, dass sie vor allem negative Emotionen an sich erkannte. Positive Emotionen nahm sie nicht wahr.

Online-Therapien bei Depressionen und Angststörungen

Die STAR-Studie zur Online-Psychotherapie von selbstverletzendem Verhalten läuft noch. Es gibt aber bereits Studien zu anderen Störungen wie etwa Depressionen und Angststörungen, die eine Wirksamkeit von Online-Therapien gezeigt haben. „Überhaupt sind die Online-Therapien von der Stärke ihrer Wirkung her nicht schlechter als die herkömmlichen Therapien“, so die Meinung von Paul Plener. Das legt auch ein Überblick aus dem Jahr 2018 in der Fachzeitschrift „Psychotherapeut“ nah, den Anton-Rupert Laireiter von der Universität Salzburg verfasst hat. „Bei Spielsucht, Depressionen, Angststörungen oder sozialen Phobien bietet sich die Online-Therapie an“, sagt der klinische Psychologe. „Sofern die Behandlung per Chat oder Mail von einem Therapeuten begleitet wird, zeigen kontrollierte Studien ähnlich hohe Effekte wie bei normalen Therapien mit persönlichem Kontakt.“

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Patienten können sogar eine Bindung zu ihrem Computer aufbauen

Man sollte nun eigentlich denken, dass der Austausch mit einer Software eine ziemlich unpersönliche Angelegenheit ist. Doch weit gefehlt: Patienten können eine Bindung zum Computer oder zu dem verwendeten Programm als anonymen „Therapeuten“ aufbauen, über den sie sich beispielsweise auch ärgern können. Die therapeutische Allianz zwischen Patient und digitalem „Therapeut“ scheint ähnlich hoch zu sein wie bei der Therapie von Angesicht zu Angesicht, sagt Anton-Rupert Laireiter. „Sie verstärkt sich dabei noch, wenn ein echter Mensch die Therapie per Chat oder Mail begleitet.“ Und dieser menschliche Input hat weitere positive Folgen. „Generell ist nämlich die Abbruchrate bei reiner Online-Therapie sehr hoch“, so Laireiter. „Sie sinkt allerdings, wenn die Behandlung von einem Therapeuten digital flankiert wird.“

Für wen eignet sich die Online-Therapie nicht?

Doch unter welchen Bedingungen und für welche Patienten macht eine Internet-Therapie überhaupt Sinn? Die Online-Therapie, die Paul Plener im Rahmen seines Forschungsprojekts Jugendlichen mit selbstverletzendem Verhalten anbietet, richtet sich an Betroffene, die nicht unter einem hohen Suizidrisiko leiden. „Denn im Falle eines solchen Risikos sollte die diagnostische Einschätzung und Betreuung persönlich erfolgen“, betont Plener. Ganz allgemein gilt: Eine digitale Therapie bietet sich vor allem dann an, wenn die Störungen nur mild bis moderat ausgeprägt und noch nicht chronisch sind.

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Wer trägt online die Verantwortung?

Auch wenn die Forschungsergebnisse zur Wirkung von Online-Psychotherapien vielversprechend sind, gilt es in der Praxis, noch so manche Hürde zu nehmen. Es gebe viele ungeklärte Fragen, wie etwa die Frage der Verantwortlichkeit bei reinen Online-Therapien, sagt Paul Plener. Die meisten Formen werden daher nur im Rahmen von Forschungsprojekten angeboten: Hier sind schließlich immer Verantwortliche benannt. „Es gibt nichtsdestotrotz viele Online-Angebote, die auch eine empirische Wirksamkeit haben“, so Paul Plener.

Wie Online-Psychotherapien Betroffenen helfen

Auch Hanna Gebauer hat die Online-Psychotherapie etwas gebracht: Mit Hilfe des Programms ist es ihr zum Teil gelungen, anstelle des Ritzens Methoden anzuwenden, um ihre Anspannungen zu verringern. Außerdem hat sie sich professionelle Hilfe in einer herkömmlichen Therapie gesucht, um ihre Probleme noch intensiver anzugehen.

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