Volkswagen: Bedroht die Transformation auch die Berufsausbildung?

Bei den festgefahren Tarifverhandlungen bei Volkswagen geht es nicht nur um die von der IG Metall geforderten vier Prozent mehr Lohn. Einen vermutlich noch höheren Stellenwert nimmt die Forderung nach einer Verlängerung der Garantie für die aktuell 1400 Ausbildungsplätze in den westdeutschen Werken der Volkswagen AG ein. Ein Versprechen, dass das Unternehmen bisher nicht bereit ist, zu geben. Damit steht während dieser Tarifrunde viel auf den Spiel: Jahrzehntelang stand Volkswagen nicht nur für qualitativ hochwertige, sondern vor allem auch für sichere Berufsausbildung. Nun also scheint die Transformation der Autoindustrie auch vor diesem bisher stets als beinahe unantastbar geltenden Thema nicht Halt zu machen. Denn die Aussagen des VW-Verhandlungsführers Arne Meiswinkel sind kaum anders zu deuten, als dass das Unternehmen auch beim Thema Ausbildung den Rotstift ansetzen möchte. Die Argumentation: Weil die Beschäftigung durch Zukunftspakt und Roadmap Digitale Transformation sinkt, kann auch die Anzahl der Ausbildungsplätze kein Tabu-Thema mehr sein. VW spricht deswegen von einer „Anpassung an künftige Bedarfe“ und einer „flexibleren Gestaltung des Berufportfolios“. „Ausbildungsplätze sind wichtig für Zukunft des Unternehmens“: Der Betriebsrat hat für diese Sichtweise indes kein Verständnis. Für die Arbeitnehmervertreter steht fest: Gerade angesichts der Transformation braucht Volkswagen weiterhin gut und zielgerichtet ausgebildeten Nachwuchs – und zwar in gleichem Umfang wie bisher. „Die 1400 Ausbildungsplätze sind nicht einfach nur eine schöne Forderung – sie sind wichtig für die Zukunft des Unternehmens“, betont Gerardo Scarpino, der im Betriebsrat für das Thema Ausbildung verantwortlich ist. Auch die Zeitschiene sei keinesfalls zufällig gewählt. Sie orientiert sich genau an den Laufzeiten von Zukunftspakt und Co.. Das schaffe Planungssicherheit und versetze das Unternehmen in die Lage, den erforderlichen Kompetenzaufbau zu organisieren. Lesen Sie auch Tiguan-Produktion in Wolfsburg für fünf Tage lahm gelegt Tarifverhandlungen bei Volkswagen werden fortgesetzt Volkswagen: Verbrenner-Ende im Jahr 2040? Besonders aber ärgert Scarpino, dass Volkswagen von mehr Flexibilität in der Berufsausbildung spricht. „Hier wird etwas eingefordert, dass es schon längst gibt“, betont Scarpino und verweist dabei auf die Entwicklungen der letzten Jahre. Hier habe der Betriebsrat seine Bereitschaft zur flexiblen Gestaltung der Ausbildung bereits deutlich unter Beweis gestellt. Bestes Beispiel: Selbst bei der nun erneut zur Disposition stehenden Anzahl der Ausbildungsplätze, ist der Betriebsrat dem Unternehmen in der Vergangenheit faktisch bereits entgegen gekommen. Auch traditionelle Berufe bleiben von Bedeutung: Denn wenn heute von 1400 Plätzen die Rede ist, sind damit nicht mehr wie früher reine Ausbildungsplätze gemeint. In der Zahl inbegriffen sind nicht nur 150 Studenten im Praxisverbund, sondern auch 50 ehemalige Auszubildende, die eine Studienförderung erhalten sowie 200 Teilnehmer der Fakultät 73, die hauseigene Talente zu Softwareexperten ausbildet. Die Ausbildungsberufe selbst seien zudem bereits auf dem absolut neuesten Stand. „Alle Berufe, die wir anbieten, sind zukunftssicher, digitalisiert und absolut an die Anforderungen der Zukunft angepasst“, stellt Scarpino klar. Neue Ausbildungsberufe wie der Produktionstechnologe 4.0 oder Elektroniker für Informations- und Systemtechnik unterstreichen die zukunftsgerichtete Ausrichtung. Und auch die klassischen Berufe seien trotz Transformation und Digitalisierung weiterhin von Bedeutung, ist Scarpino überzeugt. „Auch wenn Software immer wichtiger wird, müssen irgendwann immer noch Karossen gebaut werden“, so der Betriebsrat. Dafür brauche es gut ausgebildete Facharbeiter. Mit Sonderausbildungen, die die Nachwuchskräfte direkt in den und für die Fachbereiche qualifizieren, sowie direkt an die Ausbildung anschließenden Qualifizierungsmaßnahmen gebe es weitere Instrumente, um die Ausbildung flexibel an die Zukunftsbedarfe anzupassen, so Scarpino. Das alles koste natürlich Geld, „doch keine Ausbildung ist immer teurer“, ist er überzeugt. Lesen Sie auch: Kommentar – Fachkräfte werden immer gebraucht Frust an den Linien: Als aktuelles Beispiel für diese These, kann die erst letztes Jahr eingeführte Qualifizierungsmaßnahme zum Inbetriebnehmer herhalten. Dort wurden junge Mitarbeiter, die nach ihrer Ausbildung in der Produktion arbeiteten, dazu qualifiziert, die Software auf den Fahrzeugen einzurichten. Das Einsparpotenzial ist erheblich – immerhin wird diese immer wichtiger werdende Aufgabe aktuell für viele Geld vor allem von externen Ingenieursdienstleistern übernommen. Gleichzeitig offenbart die Qualifizierungsmaßnahme auch ein aus Scarpinos Sicht zentrales Problem. „Die Personalsteuerung nach der Ausbildung lässt zu wünschen übrig. Da fehlt es an Systematik“, mahnt der Betriebsrat. Heißt: Gut ausgebildete junge Männer und Frauen bleiben oftmals für eine viel zu lange Zeit in der Produktion hängen. Das Ergebnis ist steigender Frust an den Linien. „Arbeit in der Produktion ist grundsätzlich nicht verkehrt, und in der Produktion sind tolle Karrieren möglich“, findet Scarpino. Doch: Der Bedarf in den Fachbereichen sei durchaus vorhanden, weiß der Betriebsrat. Zwar sei es natürlich nicht immer möglich, die Azubis ohne vorherige Schleife in der Produktion in den Fachabteilungen und damit ihren eigentlichen Berufen unterzubringen, doch trotzdem versäume es das Unternehmen „vorhandene Kompetenzen abzurufen und die jungen Menschen in den Fachbereichen unterzubringen“, kritisiert Scarpino. Von Steffen Schmidt