Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien: Auch in Wolfsburg ein Thema

Welche Rolle spielen Verschwörungstheorien in Wolfsburg und haben sie durch die Corona-Pandemie zugenommen? Gibt es eine zunehmende Demokratiefeindlichkeit? So einfach lassen sich diese Fragen nicht beantworten, sagt Mirko Kurmann. Er ist seit Januar Leiter des Zentrums Demokratische Bildung (ZDB) in Wolfsburg. Einen grundsätzlichen Rechtsruck ausgelöst durch die Corona-Pandemie kann Kurmann nicht feststellen, stattdessen sei eine differenzierte Betrachtung notwendig: Einerseits seien Themen von rechten Akteuren, wie zum Beispiel die Zuwanderung, in diesem Jahr in den Hintergrund gerückt. Andererseits probieren Rechte jetzt, die Corona-Proteste für sich zu nutzen – auch hier in der Region. „Die Bewegung um die Corona-Skeptiker ist sehr heterogen, aber: klassische Rechte versuchen, sich dort einzumischen“, meint Kurmann. Die Menschen sind nicht anfälliger für Verschwörungstheorien – sie verbreiten sich nur leichter: Bei den Corona-Demos verändere sich laut dem Leiter des ZDB zudem die Rhetorik: „Es gibt immer mehr Narrative zu Widerstand. Das heißt, dieser Protest scheint sich insgesamt gerade eher zu radikalisieren in seiner Wortwahl und der Symbolik.“ Mit den Protesten sind auch Verschwörungstheorien wieder verstärkt in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. „Es hat wahrscheinlich nicht prozentual zugenommen, dass Menschen anfällig für Verschwörungserzählungen sind. Aber: Durch die sozialen Medien und das Web 2.0 sind Verschwörungsideologien viel stärker in die Öffentlichkeit gekommen“, meint Kurmann. In der Vergangenheit hätten sich Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, nicht in gleichem Maße vernetzen können. Das ZDB will verstärkt mit den Betrieben und Gewerkschaften in Wolfsburg und Umgebung zusammenarbeiten: Kurmann legt als Leiter des ZDB einen großen Wert auf die Zusammenarbeit mit den großen Betrieben und Gewerkschaften in der Region, wie VW oder der IG Metall: „Aus den Betrieben kommt die Rückspiegelung, dass rechtspopulistische Aussagen aber auch Verschwörungserzählungen teilweise in der Belegschaft sind und man überlegt, wie man damit umgeht.“ Der Unterschied zu früheren Zeiten: Während es einfach fiel, sich von einzelnen klassischen Rechten zu distanzieren, kommen heute viele Menschen mit rechtspopulistischen Aussagen und Verschwörungserzählungen in Kontakt. „Die Betriebe müssen sich die Frage stellen, wo bei ihnen die Grenze des Sagbaren ist“, meint Kurmann. Denn: Da Menschen viel Zeit auf der Arbeit verbringen, seien die Unternehmen automatisch Orte des politischen Diskurses. Kurmann will in der zukünftigen Ausrichtung des ZDB deshalb stärker auf die Zusammenarbeit mit den Betrieben setzen. In Wolfsburg sollen Lern- und Reflexionsorte zum Thema Demokratie entstehen: Auch darüber hinaus arbeitet das ZDB an verschiedensten Projekten, in Wolfsburg zum Beispiel an „Walk Out – Orte der Demokratie“. Dabei will das Zentrum gemeinsam mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen vier Lern- und Reflexionsorte zum Thema Demokratie in der Stadt errichten: „Da geht es darum gerade junge Menschen, die sonst weniger Berührungspunkte mit politischer Bildung haben, einzubinden. Wir wollen gucken, was für sie eigentlich Demokratie im lokalen Kontext heißt.“ Durch die Lernorte soll das Thema Demokratie für die Wolfsburger erfahrbarer werden. Die Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen ist der Träger des Zentrums Demokratische Bildung (ZDB) in Wolfsburg. Die Vereinigung hat das Zentrum 2011 mit Unterstützung der Stadt Wolfsburg gegründet. Es entstand in den Räumen eines ehemaligen Möbelhauses, nachdem die NPD geplant hatte, dort ein KdF-Museum zu errichten. Mirko Kurmann leitet neben dem ZDB, das noch eine Zweigstelle in Hannover hat, auch die 1994 gegründete Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) in Braunschweig. Deren Träger ist ebenfalls die Bildungsvereinigung Arbeit und Leben. An allen drei Standorten werden Projekte zum Rechtsextremismus, zur Prävention von Extremismus im Allgemeinen und zur Demokratieförderung durchgeführt. Unter der Leitung von Kurmann findet aktuell eine Umstrukturierung und Neuausrichtung statt. Standortübergreifend wollen ARUG und ZDB darüber hinaus bald ein digitales Bildungsformat zum Thema Verschwörungstheorien vorstellen: „Es soll spielerische Elemente anbieten. Wir wollen das Thema damit aus einem klassischen, politischen Bildungskontext herauszunehmen, wo es immer eher belehrend und sehr informationslastig ist“, erläutert Kurmann. Das Ziel sei, dass die Nutzer selbst ihre Medienkompetenz ausbauen. Von Melanie Köster