Datenpanne: Impf-Briefe für Verstorbene auch in Wolfsburg und Lehre aufgetaucht

Das Land Niedersachsen hat einen externen Dienstleister damit beauftragt, alle Personen über 80 Jahre zu informieren, die ab dem 28. Januar einen Impftermin abmachen können – und schon dabei passierte die erste Riesenpanne. Offenbar gingen etliche Briefe an bereits Verstorbene raus. Auch in Wolfsburg soll das nach WAZ-Informationen der Fall gewesen sein. Und ein Ehepaar aus Lehre äußerte sich beim NDR im Regionalprogramm am Mittwochabend vor der Kamera: Der Vater von Doris Zielmann, der bereits vor 39 Jahren starb, erhielt ebenfalls einen solchen Brief. Wann werden Daten gelöscht? Doris Zielmann war sichtbar erschüttert und ihr Mann Norbert hörbar sauer. Am Donnerstag wollten sich die beiden nicht weiter zum Vorfall äußern, es sei ja alles Wichtige gesagt, ließen sie über einen Mittelsmann ausrichten. Dafür schimpfte die Wolfsburgerin Petra John, die in ihrem Bekanntenkreis von einem ähnlichen Fall gehört hatte, stellvertretend für alle Betroffenen: „Das ist doch dubios, was da abläuft! Datenschutz? Wie lange und wo werden denn da unsere Daten gespeichert?“, fragt sie. Sie selbst habe lange bei der Suchtkrankenhilfe gearbeitet. Dort sei es Usus, die Kontaktinfos von Verstorbenen nach einer gewissen Zeit restlos zu löschen – und so sollte es doch eigentlich überall sein! Ministerpräsident Stefan Weil entschuldigte sich via NDR bei allen Betroffenen, und auch Wolfsburgs Landtagsabgeordnete Immacolata Glosemeyer sagt: „Es tut mir sehr leid für die Angehörigen, die auf ihren Verlust so noch einmal schmerzhaft gestoßen werden.“ Als SPD-Abgeordnete bitte sie jedoch auch ein Stück weit um Verständnis, weil Fehler in der Kürze der Zeit, in der während einer Pandemie Entscheidungen getroffen werden, immer passieren könnten. Nur wer nichts tut, riskiert bekanntlich keine Fehler. „Und ich fürchte, es wird nicht der letzte gewesen sein“ meint sie. Coronavirus: Neuigkeiten und aktuelle Entwicklungen aus Wolfsburg und Umgebung erfahren Sie hier. Privates Corona-Testzentrum: Etwa jeder 20. Test ist positiv CDU Wolfsburg kritisiert aktuelle Schulstrategie Corona in Wolfsburg: Die aktuelle Zahl der Infizierten Corona-News für ganz Niedersachsen: Verlängerter Lockdown: Diese Regeln gelten ab Montag in Niedersachsen Niedersachsen begrenzt Ausnahmen für Corona-Quarantäne nach Einreise Wie hoch ist der Inzidenz-Wert in meiner Region? Kritik gibt es trotzdem, unter anderem von Gemeindebürgermeister Andreas Busch aus Lehre, der das Ehepaar Zielmann persönlich kennt. „Das Unverständnis kann ich gut verstehen. Ich bin der Meinung, das Land hätte sich von Anfang an auf die Meldeämter in den Rathäusern verlassen sollen“, sagt er. Die Argumentation, man könne gesetzlich niemanden zum Verschicken der Briefe zwangsverpflichten, erkennt er nicht an. „Ich glaube nicht, dass sich auch nur irgendeine Kommune weigern würde. Wir wollen schließlich alle helfen, dass es schnell vorbei ist!“ Glosemeyer ist sich zwar sicher, dass die Verwaltung in Wolfsburg ebenso engagiert dabei gewesen wäre, meint aber: „Wir sind hier ja auch top aufgestellt. Nur ist das nicht überall so.“ Das Problem sei vielmehr die Systematik der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). „Da gibt es Defizite, die jetzt durch Corona deutlich werden.“ Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) trat im Jahr 2018 in Kraft. Seitdem zeigten sich schon etliche Probleme, unter anderem bei der Organisation von Vereinen oder von Kirchengemeinden, die seitdem zum Beispiel die Namen und Daten von Verstorbenen nicht mehr auf ihrer Homepage veröffentlichen. Ziel der DSGVO ist laut dem Bundeswirtschaftsministerium die Balance zwischen den Interessen der Wirtschaft und denen der Bürgerinnen und Bürger. Alle vier Jahre werden Probleme diskutiert und dann wird eventuell nachgesteuert – zuletzt gab es im Mai 2020 eine Evaluation auf EU-Ebene. Die Adressen der Senioren und Seniorinnen, die Info-Briefe zur Vergabe der Impftermine erhalten, stammen laut der Deutschen Post Direkt GmbH, die vom Land Niedersachsen beauftragt wurde, aus einer Datenbank, die sonst zu Werbezwecken verwendet wird. Todesfälle dürften nicht direkt aus Personenstandsregistern abgefragt werden. Statt dessen werde der Datensatz mit einer Referenz-Datenbank der Post abgeglichen, in der es auch Informationen über Verstorbene gibt. Rückmeldungen von Hinterbliebenen, die das Unternehmen in Einzelfällen bei Beschwerden erreichen, würden umgehend eingepflegt. Aufgrund von datenschutzrechtlichen Vorgaben seien Fehler trotzdem nicht auszuschließen. Service-Angebot: Wer keine Post mehr für Verstorbene bekommen möchte, sollte sich direkt an Deutsche Post Direkt GmbH, Junkersring 47, 53844 Troisdorf wenden. Oder per E-Mail an datenschutz@postdirekt.de. Oliver Grimm, Sprecher des Niedersächsischen Gesundheitsministeriums, erläuterte in einer Pressemitteilung, wie und warum es zu der Panne kam. Demnach gibt es zwar Melderegister aller 409 Kommunen, auf die das Land zugreifen kann – diese Daten dürfen aber nicht an einen privaten Versanddienstleister weitergegeben werden. Und auf so einen Dienstleister sei man wegen der vielen Briefe einfach angewiesen. Allein in Wolfsburg gibt es laut Aussage von Stadträtin Iris Bothe rund 10 000 betroffene Senioren, landesweit laut Grimm rund 210 000 Haushalte. Von Andrea Müller-Kudelka