Bilderbuch-Integration: Qassim aus Afghanistan arbeitet in Sülfelder Kita

Mit 16 Jahren flüchtete er vor Krieg und Hoffnungslosigkeit aus Afghanistan. Ganz allein. Ohne Familie. Ohne Freunde. Nach einer abenteuerlichen und gefährlichen Irrfahrt mit Flieger, Boot, Bus und zu Fuß landete Qassim Muhammadi am 30. Oktober 2015 in Wolfsburg. Eine nicht so leichte Zeit liegt hinter ihm, die der junge Mann erfolgreich gemeistert hat. Er hat einen Schulabschluss gemacht, eine Ausbildung zum Sozialassistenten absolviert und arbeitet jetzt in der katholischen St.-Marien-Kita in Sülfeld. Ein Mann aus einem muslimischen Land in einem christlichen Kindergarten? Das sind gleich zwei Dinge, die skeptisch machen können. Und die in der Sülfelder Kita durchaus ein Thema waren, als Qassim Muhammadi sich dort bewarb. Der junge Mann aus Afghanistan konnte Kirche, Kita, Kinder und Eltern überzeugen: Der junge Mann konnte alles schnell entkräften. „Als ich nach Deutschland kam, war ich öfter in Kirchen, um zu verstehen, woran Christen glauben“, erklärt der 22-Jährige. Seine Erklärung: „Wir glauben doch alle an einen Gott.“ Damit konnte er überzeugen. Aber auch er selbst überzeugte. Die Kirche, das Kita-Team, die Eltern. Bei den Kindern musste der junge Mann keine Überzeugungsarbeit leisten: Sie mochten ihn sofort. Weil er so nett ist. Weil er so viele schöne Spielideen hat. Weil er so herrlich mit ihnen Fußball spielt. Eigentlich träumte Qassim Muhammadi als Kind von einem Büro-Job: Auch Kita-Leiterin Britta Buder musste Qassim Muhammadi nicht überzeugen. Sie kannte ihn schon aus einem Praktikum in der St.-Heinrich-Kita auf dem Rabenberg: „Er ist ein sehr guter Mitarbeiter.“ Sehr ruhig, sehr besonnen, lobt sie. Eigentlich hatte der junge Afghane als Kind davon geträumt, mal im Büro zu arbeiten. „Im schönen Anzug“, erzählt er lachend. Doch nach seiner Flucht musste er sich ganz neu orientieren. Eins war ihm klar: Zuerst muss er die deutsche Sprache lernen. Damit begann der junge Mann schon kurz nachdem er die Turnhallenunterkunft in der Nordstadt bezogen hatte. Eine Frau, die dort ehrenamtlich arbeitete, half dabei. Ein Glücksfall. In der Sülfelder St.-Marien-Kita betreut der junge Flüchtling die Integrationsgruppe: Weil Qassim bei seiner Flucht noch minderjährig war, lebte er zunächst in einer Wohngruppe. Lernte dort einen Erzieher kennen, der die Gruppe betreute. „Seine Arbeit gefiel mir“. Von dem Zeitpunkt an, war für den jungen Mann aus Masar-e Scharif klar: Das möchte ich auch machen. Die erste Hürde dabei: einen deutschen Schulabschluss machen. Im Sommer 2017 erhielt Qassim Muhammadi seinen Realschulabschluss – Note 2,5. Danach folgte die Ausbildung zum Sozialassistenten an der Anne-Marie-Tausch-Schule, die er ebenfalls erfolgreich abschloss. Der Weg zu seinem Traumberuf war damit frei. In der Sülfelder St.-Marien-Kita betreut der junge Mann die Integrationsgruppe. „Qassim ist sehr aktiv und sieht, welche Bedarfe die einzelnen Kinder haben“, lobt Britta Buder. Und er zeigt ihnen und den Kolleginnen neue Dinge. Zum Beispiel wie man aus Schnee und Milch leckeres Eis herstellt. „Das macht man in Afghanistan“, erklärt der junge Mann. Lesen Sie auch So protestieren Wolfsburger Eltern gegen neues Kita-Gesetz Ergebnisse der „Sichere Kita" zum Corona-Alltag in Kindertagesstätten in Wolfsburg Wolfsburg: Mitarbeiter von Kitas und Schulen werden geimpft Er weiß, dass er viel geschafft hat und seine Integration geradezu vorbildlich ist. Aber er hat auch traurige Momente: Wenn das Heimweh kommt, wenn er an die Zukunft denkt. Die ist unsicher. Denn nach so vielen Jahren in Deutschland gibt es immer noch keine positive Entscheidung auf seinen Asylantrag. Um aus diesem tiefen (Gefühls)Loch zu kommen, hilft ihm boxen. Auch das macht er ziemlich erfolgreich beim AKBC Wolfsburg: 2020 war Qassim Muhammadi Verbandsmeister im Leichtgewicht. Einen Berufstraum hat er noch: „Ein eigenes Restaurant eröffnen.“ Das schafft er ganz sicher auch. Von Sylvia Telge