Tuifly: Mitarbeiter demonstrieren gegen Jobabbau

Auch „Amazing Grace“ hat nicht mehr geholfen. Im Text des bekannten Kirchenliedes berichtet der Kapitän eines Sklavenschiffs von seiner Bekehrung nach einem schweren Sturm auf See – und zumindest auf eine gewisse Läuterung hatte auch Olaf Kemper gehofft, als er die Hymne am Donnerstag vor der Tui-Zentrale auf dem Dudelsack intonierte. „Das Instrument ist stolz, hat Kraft und ist laut – und Lautstärke ist jetzt das, was wir brauchen“, sagte der Flugkapitän des Ferienfliegers Tuifly. Rund 300 Beschäftigte von mehreren Standorten waren am Donnerstag nach Hannover gekommen, um gegen die geplante Verkleinerung ihrer Flotte von 39 auf 17 Maschinen und den damit verbundenen Stellenabbau zu demonstrieren. Drinnen tagte der Aufsichtsrat von Tuifly – aber schon vor Beginn der Sitzung war klar, dass es mit einer „erstaunlichen Gnade“ an diesem Nachmittag nichts werden würde. Tui-Chef Friedrich Joussen konnte den Beschluss mit seinem doppelten Stimmrecht auch gegen den Widerstand der Arbeitnehmervertreter im Kontrollgremium durchsetzen. Und so kam es dann auch. Von 2500 Jobs sind 900 bedroht: Der angeschlagene Konzern will die Tuifly-Flotte verkleinern, um die Kosten zu senken. Ziel sei es, die verbleibenden 17 Flugzeuge über das gesamte Jahr hinweg auszulasten, also auch im reiseschwächeren Winter. „Die Tuifly-Flotte ist für die Kundenzahl unseres deutschen Tui-Reiseveranstalters zu groß“, sagte Geschäftsführer Oliver Lackmann. „Sie konnte schon vor der Corona-Krise selbst in der Hochsaison nicht kostendeckend ausgelastet werden.“ Insgesamt sind rund 900 von 2500 Arbeitsplätzen bei Tuifly gefährdet. Die Belegschaft hat diese Ankündigung kalt erwischt. Noch vor wenigen Monaten sollte Tuifly auf Expansionskurs schwenken. Der Konzern wollte die Flotte vergrößern und auch Langstreckenflüge anbieten. Dafür wurden bereits neue Piloten und Flugbegleiter angeheuert, die nun vermutlich als Erste wieder gehen müssen. „Das ist jetzt eine ganz kalte Dusche“, sagte der Pilot Bernd Drescher. Die Wartung ist besonders betroffen: Der Flugkapitän ist seit 1992 bei der Gesellschaft. Seine Frau ist Stewardess, und seine Tochter hat gerade mit einem Lehrgang für die Kabine begonnen. „Wenn wir auf 17 Flugzeuge reduziert werden, ist die Gefahr eminent, dass es uns in drei Jahren gar nicht mehr gibt“, sagte Drescher. Natürlich erkenne auch die Belegschaft an, dass sich die Tui in einer schwierigen Lage befinde – doch diese Krise könne man gemeinsam lösen. „Keiner muss seinen Arbeitsplatz verlieren.“ Besonders hart träfen die Stellenstreichungen die Mitarbeiter in der Technik. Mit der Wartung der Maschinen sind in Hannover knapp 250 Spezialisten beschäftigt. Ihre Aufgaben sollen nach den Plänen des Managements größtenteils nach Belgien und Großbritannien verlagert werden. „Für die Kollegen hier bliebe dann nur die Line Maintenance übrig“, sagte der Betriebsrat Heinrich Grages – also kurzfristige Reparaturen auf dem Flughafenvorfeld. Für diese Arbeiten reichten zwei Dutzend Beschäftigte, hieß es. Bald Verhandlungen über Sozialplan: Die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan sollen schon im Juli beginnen. „Wir wollen mit den Vertretern der Belegschaft zügig zu einer Einigung kommen“, sagte Geschäftsführer Lackmann. Spätestens zum Sommerflugplan 2022 wolle man mit einer verkleinerten Flotte an den Start gehen, hieß es. Bis Ende 2021 gilt eine Beschäftigungsgarantie. Lesen Sie auch Kommentar: Tuifly hat keine Zeit zum Abwarten Von Jens Heitmann

Touristik - Trotz Protest: Aufsichtsrat von Tuifly beschließt Sparkurs