Absurder Konflikt um Bleiberecht von Krankenschwester: Zählt nur der Pass und nicht der Mensch?

Es stimmt eigentlich alles: die Arbeit, das Leben, die Anerkennung im Beruf an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Und doch kann alles bei Farah Demir infrage gestellt werden. Weil die 36-jährige Krankenschwester, die seit 34 Jahren in Deutschland lebt, nicht die richtigen Papiere hat, könnte sie zur Ausreise gezwungen werden. Noch vor Weihnachten. Noch kämpfen die MHH, der frühere hannoversche Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg und andere dafür, dass es nicht so kommt ( hier geht es zur Petition für Farah Demir ). Eine Abschiebung dieser jungen Frau, die auf der Intensivstation für das Leben von Corona-Kranken kämpft, wäre ein Skandal. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Eine von 21 000 Geduldeten: Farah Demir ist nur eine von etwa 21 000 Menschen in Niedersachsen, die eine vorübergehende Duldung haben, deren Aufenthalt in diesem Land befristet ist – egal, wie gut sie sich hier integriert haben. Das Schicksal der MHH-Schwester ist eine von vielen Lebenswirren, die letztlich der blutige Bürgerkrieg in den Siebziger- und Achtzigerjahren im Libanon verursacht hat. Viele Araber, deren Groß- und Urgroßeltern aus der Türkei geflohen waren, haben in Beirut vorübergehend Fuß gefasst, bis auch dieser Ort zur sprichwörtlichen Hölle wurde. Der Fall der Krankenschwester von der MHH erinnert an das Schicksal der Gazale Salameh, die trotz vielfältiger öffentlicher Proteste 2005 hochschwanger aus Niedersachsen in die Türkei abgeschoben worden war und erst 2013 nach langer Auseinandersetzung wieder nach Deutschland zurückkehrte. Da war die Beziehung zu ihrem Mann, der nicht mit abgeschoben wurde, längst zerbrochen. Auch bei ihr war das Problem, dass sie von den Behörden als Türkin betrachtet wurde, die die Frau aus dem Libanon nicht war. „Erst kommt der Mensch, dann die Menschenordnung“, skandiert der Schuster Franz Voigt, der im Drama Carl Zuckmayers sich erst als „Hauptmann von Köpenick“ verkleiden muss, um vom Staat jene Anerkennung zu bekommen, die die „Ordnung“ ihm versagt. Voigt, aus dem Gefängnis entlassen, hat keine Papiere, bekommt ohne Papiere keine Arbeit und ohne Arbeit keinen Pass. Ein Teufelskreislauf, den Zuckmayer in einer Komödie beschrieb. Die Schicksale der meisten Geduldeten enden selten in einer Komödie. Objektive Schwierigkeiten, an: Spätestens, seit in Deutschland eine Partei aufgetaucht ist, die die gesamte Migrationspolitik verteufelt, sind auch die Verfahren in den Ausländerbehörden strikter geworden. Dabei gibt es vor allem im Nahen Osten, aber auch in der Türkei objektive Schwierigkeiten, an die „richtigen“ Papiere zu kommen. Aber bei Menschen, die zwanzig oder mehr Jahre in Deutschland leben und längst bewiesen haben, dass sie hier ihren Mann oder ihre Frau stehen, müsste sich die Frage nach einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis längst erledigt haben. Nicht nur aus Gründen der Humanität. Lesen Sie auch: MHH in Hannover : Krankenschwester Farah Demir pflegt Corona-Patienten und fürchtet Ausweisung Um so bitterer ist es, dass jene, die hier straffällig wurden, oft nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden können, weil die Behörden im Ausland einfach nicht mitmachen und weil bei ihnen die „Papiere“ fehlen. Sie bleiben hier. Kann es da sein, dass Menschen wie Farah Demir abgeschoben werden? Von Michael B. Berger

Unterm Strich: Was ist wichtiger - der Pass oder der Mensch?