Die SPD suche einen neuen Messias, schrieb neulich eine andere Zeitung mit Anspruch. Doch einen Erlöser werden die Sozialdemokraten nicht bekommen, denn Messiasse lassen sich gewöhnlich nicht auf langwierige Bewerbungsverfahren ein. Auch präsentieren sie sich ungern auf 20 bis 30 Regionalkonferenzen vor einer regierungsmüden Basis. Und den Messias im Doppelpack, eine Frau und einen Mann, gibt es wohl noch nicht einmal bei Amazon. Spaß beiseite: Die Suche nach einer Spitzenfrau und einem Spitzenmann für die SPD wird nicht einfach, zumal die Partei derzeit alles andere als spitze ist.
Nun hat offenbar einer, der das Siegen noch gelernt hat, das Handtuch geworfen: Stephan Weil, Niedersachsens Ministerpräsident. Doch wer gedacht hatte, dass der durchgesickerten Nachricht, Weil verzichte zugunsten eines anderen Niedersachsen, sogleich die offizielle Bestätigung folgt, der irrte. So geht die Hängepartie weiter in einer Partei, die um ihre Zukunft zittern muss. Weil, 60 Jahre alt, Jurist, gestandener Kommunalpolitiker, Mann mit Verstand und Umsicht, muss sich nichts mehr beweisen. Umso riskanter hätte der Sprung ins Ungewisse sein können, gerade für jemanden, dessen Karriere am Zenit steht. Oder reizvoller? Doch Weil will nicht. Oder will er nur noch stärker gebeten werden? Die SPD würde mit ihm gewiss keinen Messias bekommen, aber jemanden, der sein Handwerk versteht.
Der Herr des Auswahlverfahrens ist jener Niedersachse, den Weil nun wohl stützt: Generalsekretär Lars Klingbeil. Ein freundlicher Mann aus dem ländlichen Walsrode, der gleich nach Abitur, Zivildienst und Studium in die Politik wechselte. Ein Friedrich-Ebert-Stipendiat, der sich auf die Kunst der einfachen Sprache versteht – und doch außer Politik nichts gemacht hat. Das spricht auch gegen den Newcomer, der in der aktuellen Führungslosigkeit seiner Partei seine Chance sieht. Und dann ist da noch Boris Pistorius aus Osnabrück, gelernter Groß- und Einzelhandelskaufmann, Jurist, einst Oberbürgermeister, heute Innenminister – ein Mann mit einer veritablen Biografie, aber in der Bundespolitik nicht so vernetzt wie andere, bereits offizielle Bewerber. So oder so: An Niedersachsen kommt die SPD wieder einmal nicht vorbei.
Doch was will und braucht die Partei? Mit mehr als 450 000 Mitgliedern ist sie immer noch eine Volkspartei. Aber Wähler hat sie kaum noch. Zudem ist sie, die in Berlin durchaus erfolgreich eine konservative Regierung sozialdemokratisiert hat, meistens mit der Regierung unzufrieden. In jedem Fall scheint die SPD keinen Messias, sondern einen Therapeuten zu brauchen, am besten eine Paartherapeutin. Die Sprechstunde ist noch bis zum 1. September geöffnet.
Mit mehr als 450 000 Mitgliedern ist die SPD immer noch eine Volkspartei – nur Wähler hat sie kaum noch.
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Von Michael B. Berger