Harte Debatte im Landtag in Niedersachsen um Weils Regierungserklärung: Kein Konsens mehr im Kampf gegen Corona

Konsens in der Krise war gestern. Im Landtag geraten sich Koalition und Opposition bei der Sondersitzung zur Corona-Krise am Donnerstag gewaltig in die Haare. Wo noch beim letzten Plenum Ende März ein friedlich-freundliches Miteinander im Kampf gegen die Corona-Pandemie vorherrschte, wird nun wieder kritisiert, attackiert und geschimpft. Eigentlich alles wie in normalen Zeiten im Parlament. Doch die Zeiten sind nicht normal. Das zeigen schon die Schutzmasken, die jetzt viele Abgeordnete tragen. Bei einigen scheinen die Nerven blank zu liegen, weil sich viele Parlamentarier entmündigt fühlen. Die Opposition will endlich wieder mitreden, fordert, dass die Regierung mit ihren Verordnungen nicht länger am Parlament vorbei regieren dürfe. Die 14-tägigen Beratungen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin seien ein „demokratisch nicht legitimiertes Gremium“, heißt es. Von „Parlamentsverzwergung“ ist die Rede. Kritik an der Landesregierung sei keine „Majestätsbeleidigung“. Kein Abgeordneter fehlt: Dabei fängt die von der Opposition beantragte Sitzung ganz harmlos an. Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) dankt zur Eröffnung allen Bürgern für ihre Disziplin – und freut sich darüber, dass trotz Corona nicht ein Abgeordneter fehlt. Das sei bemerkenswert, meint Andretta. Dann kommt die mit Spannung erwartete Regierungserklärung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Was der SPD-Politiker sagt, aber noch vielmehr, was er nicht sagt, treibt den Puls bei der Opposition in die Höhe. Weil erklärt, er sei „tief erleichtert“. Es sei gelungen, „das Blatt zu wenden“, auch wenn die Krise noch nicht überstanden sei. Aber die Zahl der täglich Genesenen sei höher als die der Neu-Infizierten. Weitere Lockerungen möglich? Der Ministerpräsident stellt weitere Lockerungen für Sportler oder Kinder in Aussicht, falls das Infektionsgeschehen es zulasse. Er sagt zu, dass die Regierung bei Klagen aus dem Not leidenden Kulturbetrieb nicht weghören werde. Weil begrüßt, dass die große Koalition in Berlin über Hilfsmaßnahmen für die Tourismusbranche nachdenkt und das Kurzarbeitergeld erhöhen will. Er plädiert für die Einführung von Abwrackprämien für die wichtige Autoindustrie. „Wir müssen Abstand halten, und wir müssen zusammenhalten!“, ruft der Regierungschef am Ende den Abgeordneten zu. Lesen Sie auch: 40 Musikfestivals warnen vor Folgen der Corona-Krise Ohne großen Anlauf greift die neue Fraktionschefin der Grünen, Julia Willie Hamburg, den Ministerpräsidenten an. Mancher im Plenum wirkt ob der schrillen Tonlage sichtlich überrascht. Hamburg wirft Weil vor, die Lage schönzureden. „Sie widmen den Problemen der sozialen Infrastruktur, den Kommunen und der Kultur einen bescheidenen Satz. Das erinnert mich an Gerhard Schröder, der das einst Gedöns nannte.“ Es gehe darum, die Isolation von Kindern, die Überlastung von Familien, die Vereinsamung und den Schutz vor häuslicher Gewalt zu verhindern. Das nenne sich Sozialpolitik. Kritik an Weitergabe von Krankheitsdaten an die Polizei: FDP-Fraktionschef Stefan Birkner attestiert dem Regierungschef, keine eigene Strategie im Umgang mit der Krankheit zu haben. „Herr Weil, verstecken Sie sich nicht hinter der Bundeskanzlerin!“ Die Herumeierei um die Maskenpflicht sei ein weiteres Beispiel für die zögerliche Haltung Weils, die sorglose Weitergabe von Krankheitsdaten an die Polizei erschreckend. „Grundrechte werden mit einem Federstrich einer Ministerin weggefegt“, beklagt Birkner. Lesen Sie auch: Ärzte warnen: Corona-Daten gehen die Polizei nichts an AfD-Fraktionschefin Dana Guth bemängelt, dass noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik „die Rechte der Menschen so umfangreich und langfristig eingeschränkt“ waren. Die Parlamente und die Opposition seien ins Abseits gestellt worden. Datenschutz spiele keine Rolle mehr, die Überwachung werde salonfähig. Guth: „Sie haben es geschafft, die gesamte Bevölkerung in panische Angst zu versetzen“. Und das sei mit voller Absicht geschehen. Toepffer lobt Verlässlichkeit: CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer verteidigt die rot-schwarze Regierung. Wenn die Grünen oder die FDP mitregieren würden, würde das „blanke Chaos“ herrschen, sagt er. Diese Landesregierung arbeite verlässlich und transparent. „Wenn Sie schon meinen, die Regierung in dieser Krise treiben zu müssen, dann machen Sie es wenigstens handwerklich richtig“, ätzt Toepffer. Jetzt ist richtig Pfeffer drin. Die Unruhe im Saal wird größer, die Zwischenrufe lauter. An der geplanten Hilfe für Gaststätten und Tourismus entzündet sich später noch einmal die Debatte über den Zustand der parlamentarischen Demokratie in Zeiten der Krise. Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) will am Nachmittag mit anderen Bundesländern über ein Rettungskonzept sprechen. Im Landtag sagt er dazu nichts. Auch Weil hat das nicht erwähnt. Daran sehe man, dass die Regierung das Parlament wieder einmal nicht ernst nehme, rügt FDP-Fraktionsvize Jörg Bode. „Das ist ein Skandal.“ Ausschüsse tagen künftig digital: Kleiner Erfolg für die Opposition am Ende. Auf Initiative der FDP ändert der Landtag die Geschäftsordnung. Ausschusssitzungen sollen künftig auch digital möglich sein, um das Parlament trotz Corona-Krise arbeitsfähig zu halten. Liveticker: Die Lage in Hannover und Niedersachsen im Überblick Aktuelle Zahlen zum Coronavirus in der Region Hannover: So viele Infizierte gibt es HAZ-Expertenforum: Das antworten Mediziner auf Leserfragen zum Virus Alle Artikel zum Coronavirus in der Region auf einen Blick So können Sie Geschäften, Gastronomie und Freiberuflern in der Region Hannover jetzt helfen Von Marco Seng

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