Der Roman avancierte zum Welterfolg, sechs Millionen Exemplare gingen allein in Deutschland über den Ladentisch – und doch hat es fast dreißig Jahre gedauert, bis Noah Gordons Historienepos nun auf die Leinwand gehievt wird. Dabei ruft die Geschichte des abenteuerlustigen Engländers geradezu nach einer filmischen Umsetzung: Der junge Rob Cole (Tom Payne) macht sich aus dem tiefsten abendländischen Mittelalter nach Persien auf, um das ärztliche Handwerk zu erlernen.
Plastisch sind Gordons Schilderungen über das Leben im 11. Jahrhundert und die riesige kulturelle Kluft zwischen Orient und Okzident. Gleichzeitig bedient das 850 Seiten starke Werk als mittelalterliches Road-Movie und Coming-of-Age-Geschichte klassische Genremuster des Kinos. Aber wer diesen Stoff verfilmen will, braucht den Willen zur Größe. Vielleicht lagen die Rechte auch deshalb so lange in Hollywood brach, weil sich niemand an diesem Buch verheben wollte. Schließlich bekam nach langwierigen Verhandlungen „Teamworx“-Produzent Nico Hoffmann den Zuschlag. Er finanzierte das 26 Millionen teure Projekt, das in englischer Sprache gedreht und mit internationaler Besetzung auf den Weltmarkt zielt, vorwiegend aus deutschen Fördertöpfen. Als Regisseur wurde Philipp Stölzl unter Vertrag genommen, der in „Nordwand“ sein Faible für dramatische Naturkulissen und mit „Goethe!“ einen ganz und gar nicht behäbigen Umgang mit geschichtsträchtigen Stoffen unter Beweis gestellt hat.
Stölzl und sein Drehbuchautor Jan Berger haben die voluminöse Vorlage kräftig gestutzt. Das mittelalterliche London und dessen handwerkliches Zunftwesen verwandeln sich kostensparend in ein kleines Bergarbeiterdorf. Kindheit, Jugend und Lehre des Waisenjungen Rob, der an der Seite eines Baders (Stellan Skarsgård) in England seine ersten medizinischen Erfahrungen sammelt, werden in einer halben Kinostunde abgehandelt. Als Schleuse zwischen den Kulturen dient im Roman die lange Reise, in deren Verlauf sich der Held vom engstirnigen Christenmenschen hin zu einem kosmopolitischen Geist entwickelt. Im Film wird der Engländer, der sich als Jude ausgibt, um im muslimischen Isfahan bei dem berühmten Mediziner Ibn Sina (Ben Kingsley) studieren zu können, unvorbereitet in den multikulturellen Mikrokosmos der persischen Stadt hineingeworfen.
Immerhin: Das schärft die Kontraste zwischen düsterem mittelalterlichen Abendland, wo die Heiler von den Eiferern der katholischen Kirche der Hexerei bezichtigt werden, und dem der Wissenschaft gegenüber aufgeschlossenen Orient, wo das medizinische Wissen der Antike weiterentwickelt wird. Aber auch in Isfahan lauert die fundamentalistische Gefahr: Die Stadt wird von einem launischen Schah (Olivier Martinez) regiert. Seldschuken-Heere sammeln sich in der Wüste zum Angriff. Und die Mullahs in der Stadt verdammen die medizinischen Lehren Ibn Sinas als gottloses Zeug.
Den Konflikt zwischen wissenschaftlichen und religiösen Wahrheitsansprüchen arbeitet Stölzl im konventionellen Gut-Böse-Schema heraus und presst den historischen Stoff in die antifundamentalistischen Denkformate unserer Gegenwart. Zugleich bekennt sich der Regisseur zum filmischen Eskapismus und knüpft an Klassiker wie „Laurence von Arabien“ an. Tatsächlich gelingt es Stölzl, mit handwerklichem und ökonomischem Geschick sich an episches Kinoformat heranzumogeln. Ein paar illustre Aufnahmen aus der marokkanischen Wüste hier, ein paar digitale Heerscharen dort suggerieren den Anschein einer Großproduktion.
Der Regisseur hat ein in sich stimmiges, kurzweiliges Stück Unterhaltungskino abgeliefert, das sich auch im internationalen Vergleich sehen lassen kann.
Überdeutlich aktualisiert, aber gelungen: Unterhaltsame Umsetzung. Cinemaxx, CineStar, Hochhaus.
Von Martin Schwickert