Waschbär läutet Kirchenglocken in Löwenhagen

Mal läuten die Kirchenglocken nachts, mal läuten sie gar nicht, wenn sie eigentlich läuten sollen. In Löwenhagens Kirchturm passiert Seltsames. Und das schon seit Längerem. Doch das Phänomen lässt sich erklären, es gibt eine tierische Ursache für die Unregelmäßigkeiten im Kirchturm. „Ich habe schon im Jahr 2018 im Glockenturm einen Waschbären gesehen“, sagt Matthias Freter. Er war damals damit beschäftigt, eine Ortschronik zu erstellen. „Damals lief er mir das erste Mal über den Weg.“ Zudem gelang ein fotografischer Beweis mit der Handykamera. Er habe für die Ortschronik Fotos der Glocken schießen wollen, so Freter. Dabei sei ihm das Tier vor einiger Zeit im Glockenturm vor die Linse gelaufen. Fraßspuren im Kirchturm: Später läuteten die Glocken zu seltsamen Zeiten, oder eben nicht. Beim Gottesdienst blieben sie stumm und alle sahen sich verwundert an. Denn das, obwohl das Geläut gewartet wird. Wie Freter berichtet, haben die Löwenhagener sowohl Fraßspuren als auch die Hinterlassenschaften des Waschbären, die Losung, in der Nähe des Schalters gefunden. Der Verdacht erhärtete sich: Der Waschbär hatte offenbar geläutet, und das Geläut auch wieder abgeschaltet. Lesen Sie auch: Futterdiebe in der Nacht: Wilde Waschbären bilden Räuberleiter Eigentlich sollten die Glocken dreimal am Tag läuten - morgens, mittags und abends. Eine Zeitschaltuhr sorgt normalerweise dafür, dass es pünktlich läutet. Zuletzt blieb es aber still. Die Anlage ist relativ neu. „Zudem wird sie regelmäßig gewartet“, sagt Roswitha Kamm vom örtlichen Kirchenvorstand. Bei Inspektionen des Turmes sei dann aufgefallen, dass der Hebel, mit dem der Strom für die Anlage ein- und ausgeschaltet werden kann, umgelegt war, berichtet Kamms Ehemann Uwe. Er hat im Auftrag des Kirchenvorstands die steilen Stiegen des Glockenturms erklommen und die Lage begutachtet. Rätselhaft, denn der Zugang zum Turm ist stets verschlossen. Den Schlüssel verwahrt der Kirchenvorstand. Wie kommt der Waschbär in die Kirche? „Mittlerweile ist das Rätsel gelöst“, sagt Roswitha Kamm. Der Waschbär habe den Strom abgestellt. Dass im Kirchturm tatsächlich ein Waschbär haust, sei bewiesen, sagt Uwe Kamm. „Wir haben Waschbär-Kot gefunden“, sagt er. „Wie der Waschbär in den Turm kommt, ist allerdings das große Geheimnis“, sagt Uwe Kamm. „Wir haben das ganze Dach von innen abgesucht. Es ist uns aber nach wie vor nicht klar, wie das Tier auf den Boden gelangen kann.“ Da der Waschbär aber – mit Ausnahme des Strom-Abstellens - keinen nennenswerten Schaden angerichtet habe, solle das Tier nicht vom Dachboden vertrieben werden. Die Glocken werde es künftig allerdings nicht mehr auf stumm schalten können, sagt Kamm. „Ich baue einen Drahtverhau um den Hebel, sodass es nicht mehr dran kommt.“ Das dürfte für den gelernten Werkzeugmacher und Mechaniker kein Problem sein. Material hat der Kaninchenzüchter genug. Hat Kamm erst einmal den Drahtverhau konstruiert, kann das Geläut durch den Schutz nur noch mit einem Schraubenzieher betätigt werden. Da habe der Waschbär dann keine Chance, tätig zu werden. „Das kriegt er nicht hin“, ist sich der stellvertretende Ortsbürgermeister sicher. Er hat die Waschbärengeschichte in den vergangenen Tagen mindestens zehn Mal erzählt, weil sich so viele Journalisten aus ganz Deutschland melden. Auch Fernsehsender hätten ihr Kommen bereits angekündigt. Der Löwenhagener Waschbär gelangt zu Berühmtheit. So viel Nachsicht wie in Löwenhagen finden Waschbären im Übrigen nicht überall in Niedersachsen. In den vergangenen Jahren wurden landesweit jeweils mehr als 15 000 Exemplare erlegt. Die ursprünglich aus Nordamerika stammenden Tiere waren im vergangenen Jahrhundert zur Pelzzucht nach Deutschland gebracht und erstmals im Jahr 1934 am nordhessischen Edersee ausgewildert worden. Fälle wie der in Löwenhagen sind dem Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises Göttingen, Friedrich Selter, nicht bekannt. Es würden freilich schon einige Tiere in Kirchtürmen leben, wie Turmfalken und die zeitweilig in ihrem Bestand extrem bedrohten Wanderfalken. Ein Wanderfalken-Pärchen hat mehrere Jahre im Turm der Göttinger St.-Jacobi-Kirche seine Jungen großgezogen. Eine Idee, das Geläut auszustellen, hatten die Vögel nicht, merkt Selter an. Für ihn ist der Naturschutz bei Bauprojekten im kirchlichen Bereich wichtig. So seien an der Außenwand der Superintendentur Nistmöglichkeiten für Mauersegler eingebaut worden. Von Britta Bielefeld und Ulrich Meinhard mit dpa

Bei Göttingen - Waschbär läutet Kirchenglocken