Die Urlaubs-Macher: Mit der Bimmelbahn "Emma" durch Cuxhaven

„Moin, wir möchten gerne mitfahren“, sagt eine junge Frau mit Sonnenbrille zu dem Mann im rotem Polohemd. „Bis zur Alten Liebe!“ Es ist 9.20 Uhr, die erste Fahrt hat noch nicht einmal begonnen – und das erste Missverständnis ist schon da. Denn zur „Alten Liebe“ geht es hier, an der Haltestelle der Dünenbahn in Duhnen, gar nicht. Sondern in die entgegengesetzte Richtung. Für urlaubsentspannte Gehirne ist es nicht so einfach mit den beiden Bimmelbahnen in Cuxhaven und seinen Kurbädern Duhnen und Sahlenburg. Genügend Fahrgäste gibt es für beide: die blau-weiße Jan-Cux-Strandbahn der Kurverwaltung vom Ortsteil Duhnen bis zur Alten Liebe am Hamburger Leuchtturm in Cuxhaven und die rot-gelbe Dünenbahn der Cuxliner GmbH zwischen Duhnen und Sahlenburg. Die junge Frau entscheidet sich an diesem Morgen kurzfristig um und steigt mit Mann und kleiner Tochter in die eigentlich falsche Richtung ein. „In Sahlenburg gibt es gute Gaststätten, Eis, einen Abenteuerspielplatz und einen Kletterwald“, hatte der Mann im rotem Polohemd vorher noch geworben, und große Überredungskünste waren gar nicht notwendig bei der Familie aus Osnabrück. Schließlich ist eine Fahrt mit der Tschu-Tschu-Bahn, Baujahr 1987, ein Vergnügen an sich – egal in welche Richtung. Ohne Klingeln kein Losfahren: Der Mann im roten Polo heißt Ralf-Udo Schmelcke, aber eines stellt der 53-Jährige gleich klar: „Ich bin Ralf, hier bei der Bahn geht alles per du.“ Er steigt auf die Metallstufe am Führerhäuschen, setzt sich auf seinen „Präsidentensitz“ und zieht an einem schmalen Seil. Draußen schlägt ein kleiner Klöppel gegen das Innere der Glocke auf dem Triebwagen. Es klingelt. Und ohne Klingeln kein Losfahren, „das ist ja schließlich eine Bimmelbahn“, sagt Präsident Ralf und lacht. Ralf arbeitet seit sechs Jahren bei der Cuxliner GmbH. Angefangen als Schaffner und Fahrer in Personalunion hatte der gelernte Tischler schon viel früher, damals noch als Nebenjob. Nach einem Unfall bei der Arbeit und der anschließenden Kündigung durch seinen Betrieb machte sich der gebürtige Sahlenburger auf die Suche nach einer neuen Stelle und fragte bei Cuxliner an. Den Job als Bahnfahrer kannte und mochte er schließlich schon. „Emma“ soll glänzen: „Ich dachte, das passt doch“, sagt Ralf. Es passte: Die ersten Jahre zwar nur während der Saison zwischen Ende März und Anfang November, „im Winter musste ich stempeln“. Aber seit vorigem Jahr gehört Schmelcke zum Ganzjahresteam der Firma, denn zu tun gibt es bei dem Anbieter mehrerer Bahnen und Busse auch im Winter genug: demolierte Haltestellen instand setzen, kaputte Aufsteller reparieren, Maschinen warten und kurz vor Beginn der neuen Saison die Bahn polieren. Schließlich soll „Emma“, wie die Kinder in Cuxhaven den kleinen Zug nennen, so schön glänzen, als sei sie gerade im Beauty-Salon gewesen. „Die roten und die gelben Teile müssen getrennt voneinander poliert werden, sonst gehen die Farben ineinander über“, erklärt Ralf. Wenn man eine hübsche „Emma“ will, muss man eben genau sein. Überholt werden darf nur links: Genau nimmt es Ralf auch mit den Regeln: Niemand darf während der Fahrt stehen, Eis ist wie in jedem anderen Bus nicht erlaubt. Ja, Bus. „Ich bin wie ein Bus“, sagt Ralf. „Ich habe 48 Sitzplätze und zähle zum Linienverkehr. Und ich brauche einen Busführerschein.“ Deswegen sind auch die Verkehrsregeln so klar wie einem Bus: Überholt werden darf nur links. Auch, wenn der Bus mit seinen drei Waggons und seiner optischen Lokomotive auf einem Dünenweg fährt und keiner Straße. Am liebsten ist es Ralf, wenn Radfahrer und Eltern mit Kinderwagen an die Seite gehen und kurz stehen bleiben, wenn er mit Emma vorbeirollt. „Dann ist es entspannt. Aber das funktioniert nicht immer“, sagt Ralf und zieht die Schultern hoch. „Manche haben keine Lust zu warten, manche merken gar nicht, wie eng es ist.“ Und wenn dann noch die Wattwagen in Sahlenburg in Richtung Insel Neuwerk starten und den Weg der Bimmelbahn kreuzen, ist Rush-Hour am Deich. Die höchste Erhebung von Cuxhaven: „Ich muss meine Augen und Ohren überall haben“, sagt Ralf. Hat jemand geklingelt, um bei der nächsten Haltestelle auszusteigen? Braucht jemand seinen Rolli oder Kinderwagen aus dem Anhänger zurück? Läuft der richtige Text, gesprochen vom Gründer der Bahn höchstpersönlich? Wenn die Technik ausfällt oder gerade wenig los ist, erzählt Ralf den Leuten gern selbst etwas. „Live mögen sie es ohnehin am liebsten“, sagt er. „Wenn wir zum Beispiel vom Deich hinunter auf den Dünenweg Richtung Sahlenburg fahren, sage ich immer: Diese acht Meter sind die höchste Erhebung von Cuxhaven.“ Alles andere ist ja platt. Wir sind schließlich am Wattenmeer. 100 PS hat der Motor von Emma, es ist bereits der zweite: Der erste hat 500.000 Kilometer geschafft. „Wir fahren den ganzen Tag hin und her und her und hin, alles im niedrigsten Gang“, sagt Ralf. „Das ist heftig für den Motor.“ Maximal 25 Stundenkilometer darf die Bimmelbahn fahren, das Durchschnittstempo beträgt aber bloß 15. Ein Radfahrer überholt: Und da wird man durchaus auch mal überholt – von Radfahrern. Zum Beispiel von einem jungen Mann, der locker-lässig an Emma vorbeiradelt. Ist das nicht eine Frechheit? „Ne“, sagt Ralf, „der darf das. Er ist ja links gefahren!“ Links überholen ist erlaubt. Und hier läuft alles genau nach Straßenverkehrsordnung. Klingelt sein Handy, geht Ralf ran und ruft: „Ich kann jetzt nicht!“ Wie sähe das auch aus: Der Fahrer der Dünenbahn telefoniert am Steuer. Arbeitsbeginn im Betriebshof ist um 8.30 Uhr, dort wird erst einmal alles gecheckt: Funktioniert auch wirklich jedes Lämpchen? Ist ausreichend Öl in der Maschine? Wenn unterwegs etwas kaputt geht, wie etwa neulich der Ölschlauch, muss Ralf den Schlosser rufen. „Repariert werden muss ja vor Ort.“ Unnötig zu sagen, dass ein Defekt in der Regel nicht montags bis freitags auftritt, sondern am Wochenende. Schwierig ist zudem, dass die Tschu-Tschus nicht mehr gebaut werden und es nicht mehr alle Ersatzteile gibt. „Dann müssen wir improvisieren.“ Mittagspause im Wohnwagen: Vom Betriebshof zur Starthaltestelle in Duhnen darf Ralf stets nur denselben, genehmigten Weg benutzen – er ist mit seinen 23 Metern inklusive Anhänger für Kinderwagen und Rollis schließlich eine Art Extra Long Vehicle. Feierabend ist gegen 18.30 Uhr. 45 Minuten Mittagspause hat Ralf. Dafür stellt Cuxliner den Angestellten einen Wohnwagen auf einem Campingplatz in Sahlenburg zur Verfügung, den nutzt Ralf gern. „Wenn ich an der Haltestelle bleibe, ist das keine echte Pause. Ich brauche zwischendurch ein wenig Zeit für mich.“ Und die in Sahlenburg lebende Mama bringt ihm eine warme Mahlzeit dorthin. „Essen auf Rädern“, sagt er und lacht. Noch lieber als die in Cuxhaven fährt Ralf die zweite Bimmelbahn des Betriebes in Otterndorf an der Elbe. „Da ist alles ruhiger und gemütlicher, nicht so voll.“ Aber den Blick aufs Watt, auf Neuwerk, den gibt es da nicht. Und der entschädigt für den Stress zur Rush Hour. Einen Tipp hat der Bimmelbahn-Präsident noch: Bei Sonne und 35 Grad würde er niemals eine Wattwagenfahrt machen. Denn: „Du hast nirgendwo Schatten.“ Cuxhaven ist ein Nordseeheilbad am Wattenmeer. Bekannt ist die Stadt mit knapp 50.000 Einwohnern und mit 3,2 Millionen Übernachtungen im Jahr vor allem für ihre Kutschfahrten durchs Watt in Richtung der Insel Neuwerk. Beliebt ist Cuxhaven auch bei Reitern. Es gibt Parkplätze exklusiv für Autos mit Pferdeanhängern und 60 Kilometer ausgewiesene Reitwege durch Wald und Küstenheide plus die Möglichkeit, im Watt zu reiten: zum Beispiel den 12,5 Kilometer langen Weg über den Meeresgrund nach Neuwerk, den auch die Kutschen nehmen. Auf Neuwerk gibt es Übernachtungsmöglichkeiten für Mensch und Pferd. Wegen des Naturschutzes sind Drachen und Wassersport nur in ausgewählten Zonen des Nationalparks erlaubt. Über das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer informiert ein Besucherzentrum in Sahlenburg. Lesen Sie mehr: In unserer Serie „Die Urlaubs-Macher“ haben wir bereits berichtet: Wie Bad Harzburg mit dem Baumwipfelpfad zum touristischen Aufsteiger wird. Von Carolin George

Die Urlaubs-Macher: - Auch für Bimmelbahn „Emma“ gibt es in Cuxhaven eine Rush-Hour