Die 22-jährige Schaumburgerin Luna ist Pornodarstellerin

Ganz ehrlich: Wie stellen Sie sich eine Pornodarstellerin vor? Große Brüste, aufgespritzte Lippen, falsche Haare? Die junge Frau, die an diesem kalten Nachmittag zum Gespräch in die Redaktion kommt, dreht Pornos und lebt davon – von dem Klischee um ihren Beruf hält sie aber wenig. „Ich sehe mich nicht als Pornodarstellerin“, sagt die 22-jährige Schaumburgerin, eben weil sie wisse, wie viele Vorurteile jeder bei dem Wort sofort im Kopf hat. Aber: „Das ist mein Beruf“, sagt sie. Die junge Frau ist klein, sehr zierlich, hat halblange, blonde Haare, ein junges und sympathisches Gesicht. Um ihre schmalen Schultern hat sie eine dicke Strickjacke gezogen und sie trägt eine schwarz umrandete Brille. Anonymer Spender bestellt 850 Portionen Schmalzkuchen für Seniorenheime und die Tafel Ihren Namen und ihren Wohnort will sie nicht veröffentlicht sehen, um ihre Familie zu schützen. Rund 27 000 Fans folgen ihr hingegen auf ihren Instagram-Kanälen „lovlylunaofficial“ und „lovlyluna_official“. Für dieses Porträt soll sie daher „Luna“ heißen. „Ich sehe mich nicht als typische Pornodarstellerin“, sagt Luna, denn: Sie dreht Amateur-Pornos. Die Ästhetik ist schnell erklärt: Ihre Filme sind selbst gedreht, und zwar nicht in professionellen Kulissen, sondern in Privatwohnungen, in Ferienhäusern oder draußen. Luna hat schon auf dem Jahrtausendblick in Steinbergen, im Tropicana in Stadthagen und im Baumarkt gedreht oder sich fotografieren lassen. Ärger hat sie bislang nicht bekommen, „ich bin immer sehr vorsichtig“, sagt sie. Wie aber kommt man überhaupt in die Branche? Wie kommt man auf die Idee, Pornos zu drehen? Lunas Lebensgeschichte ist auch gezeichnet von mehreren Krankheiten, unter anderem von der chronischen Schmerzerkrankung Fibromyalgie, Diabetes, Skoliose (eine Verkrümmung der Wirbelsäule). Einige Leiden wurden erst spät diagnostiziert. Hinzu kam zeitweise eine Depression. „An manchen Tagen kam ich morgens nicht aus dem Bett“, erinnert sich die 22-Jährige. Wir hatten zu Hause nie viel Geld. Luna , Pornodarstellerin Eigentlich wollte sie ihr Abitur machen, erzählt sie. Doch ihre Krankheiten verhinderten das, immer wieder fiel sie aus, die Krankheitstage häuften sich. Also verließ sie die Schule mit einem erweiterten Realschulabschluss. Und dann? Die große Unsicherheit. Welcher Betrieb würde sie nehmen, wenn sie immer wieder ausfallen würde? Also arbeitete sie in einer Bäckerei, in einem Geschäft und putzte. Bis sie vor etwa zwei Jahren genug von diesem Leben hatte. „Wir hatten zu Hause nie viel Geld“, erzählt Luna. Ihre Mutter musste sie und ihre Geschwister allein versorgen. Ein Leben mit dauerhaft niedrigem Einkommen, das wollte Luna nicht, „ich wollte mehr aus meinem Leben machen“. Also habe sie überlegt – und sei bald auf die Idee gekommen, Pornos zu drehen. Dabei habe auch eine Rolle gespielt, dass sie dabei über ihre Sexualität selbstbewusst bestimmen kann, selber bestimmen kann, was Männer zu sehen bekommen und was nicht. Ihre Sexualität hat sie erst spät entdeckt, erzählt Luna, und früher habe sie gedacht, dass es vor allem darum gehe, Männer zu befriedigen. Doch jetzt, auch durch ihre Filme, „kann ich zeigen, was ich will“, sagt Luna. Luna zeigt "alles": In ihrem Beruf ist sie komplett selbstständig. „Ich bin nicht nur Darstellerin“, sagt Luna. Sie bestimmt auch, wie ihre Videos aussehen. Sie schreibt das Drehbuch, macht den Schnitt, die Öffentlichkeitsarbeit, das ganze Drumherum. Das macht sie nicht allein, sondern zusammen mit ihrem Geschäftspartner, mit dem sie jüngst eine Firma gegründet hat. Mit einem bestimmten Mann dreht sie auch meist die Filme. Manchmal kommen noch Frauen dazu, das komme gut an bei ihren Kunden. Was zeigt sie dann? „Alles“, sagt Luna. Auch das gehöre zum Amateur-Look der Videos: Statt aufwendiger Produktionen gibt es hier alles zu sehen. Gibt es auch etwas, das Luna nicht machen würde? Sie nickt, ja, sie kenne ihre Grenzen. Und sie muss ihrem Partner vertrauen können. Doch durch ihren Beruf sei sie inzwischen sexuell sehr selbstbewusst geworden, obwohl sie privat ein recht eifersüchtiger Mensch sei. „Früher hätte ich mir das nie vorstellen können“, sagt Luna, Sex vor der Kamera zu haben. Angefangen hat die Schaumburgerin mit selbst gedrehten Filmen, in denen ihr Gesicht nicht zu sehen war. Dann, vor eineinhalb Jahren, habe sie sich dazu entschieden, auch ihr Gesicht zu zeigen. Das komme einfach besser an, werde besser geklickt. Doch über diesen Schritt hat Luna lang nachgedacht. Der Grund ist klar: Wer sein Gesicht zeigt, wird auch irgendwann erkannt. Ihre Familie aber, die habe – nach dem ersten Schreck – ziemlich gelassen reagiert. „Mein Bruder hat sich erst große Sorgen gemacht“, aber sie habe ihn schnell beruhigen können. Erst recht, als sie erzählt habe, wie viel sie mit den Filmen verdiene, sagt Luna augenzwinkernd. Gespräch mit Oma steht noch aus: Selbstreflektiert sagt sie aber auch, dass sich ihre Mutter natürlich etwas anderes für sie gewünscht hätte, ein Leben als Ärztin oder Anwältin. Aber: „Meine Mutter will, dass ich glücklich bin, und das bin ich.“ Und ihre beste Freundin habe sowieso von Anfang an gewusst, was sie da mache. Einzig ihre Großmutter wisse noch nicht, womit sie ihr Geld verdiene. „Das Gespräch steht noch aus.“ Luna ist eine Pornodarstellerin, die es ohne Internet und ohne soziale Medien nicht geben würde. Sie stellt ihre Videos auf zehn verschiedene Internetseiten online. Drei davon sind frei verfügbar, hier wird Luna an den Einnahmen von Werbespots beteiligt. Je mehr Menschen ihre Videos anklicken, desto mehr Geld bekommt sie, ähnlich wie bei der Videoplattform Youtube. Bei den anderen Plattformen müssen sich User kostenpflichtig anmelden. Kunden müssen außerdem extra zahlen, wenn sie besondere Dienste in Anspruch nehmen, wenn sie zum Beispiel mit Luna persönlich chatten wollen. Ähnlich wie ein Influencer – also jemand, der sein Geld über seine Beliebtheit in sozialen Netzwerken verdient – muss sich auch Luna nach dem richten, was am liebsten gesehen und damit am besten geklickt wird. Pornodarstellerin, das klingt nach einem mehr als exotischen Beruf – doch sechs bis acht Stunden am Tag verbringt Luna mit organisatorischen Dingen: Videos planen, Trends aufspüren, mit ihren Kunden Kontakt halten, die eigene Reichweite aufbauen. Eine Woche lang kein Video online stellen? Undenkbar in ihrem Job. Dabei sei sie selber überhaupt kein exhibitionistischer Mensch, sagt Luna. Doch ihre Arbeit hat sie auch selbstbewusster gemacht: „Mir ist inzwischen sehr egal, was andere Menschen von mir denken, ich lebe so viel bequemer.“ Ihr ganzes Leben lang will sie ihren Beruf nicht ausüben. Auch wenn es durchaus 60- und 70-Jährige gebe, die noch Pornos drehten. Luna stellt sich vor, dass sie mit spätestens 40 keine Filme mehr dreht, sondern genug Geld verdient hat, um es in Immobilien zu investieren. Der Vorsorgeplan dafür steht bereits. „Es ist ein anstrengender Job“, sagt Luna, aber: „Einen schöneren könnte ich mir nicht vorstellen.“ von Marieluise Denecke