Corona-Partei „Widerstand 2020“ Ein Leipziger Anwalt gegen den Lockdown

Hinter einer Glastür im Leipziger Nordosten sitzt ein Mann vor einer Kamera und gibt ein Interview. Der Rechtsanwalt Ralf Ludwig, 47, blauer Anzug und graue Haare, ist so gut gelaunt wie gebräunt. Er bekommt gerade viel Aufmerksamkeit, weil er einer der drei Gründer des „Widerstand 2020“ ist – einer Gruppe, die als Corona-Protestpartei gegen die Schutzmaßnahmen kämpfen will. Heute interviewt ihn ein YouTube-Kanal. Ein Ziel des Widerstands ist es, bei der nächsten Bundestagswahl anzutreten. Wer auf die Website der Gruppe geht, stößt aber auch auf sehr krude Pläne. Um die deutsche Corona-Politik zu korrigieren, schreibt Ralf Ludwig dort, müsste man den Bundestag komplett auflösen. Stattdessen sollte ein „Notstandsparlament“ aus 700 „mündigen Bürgern“ das Land regieren. Kann man eine Bewegung, die so etwas fordert, ernst nehmen? Oder: Muss man es sogar? Weil die Proteste gegen den Lockdown immer lauter werden, aber niemand weiß, wie lange das Virus uns noch beschäftigen wird? Die Mitbegründerin der Gruppe, die aus der Regionn Hannover stammende Victoria Hamm, ist bereits wieder zurückgetreten. Eine Demonstration „wie Woodstock“: Zwei Wochen vor seinem YouTube-Interview steht Ralf Ludwig auf einer Bühne in Stuttgart. Die „Querdenken“-Demonstration, auf der mehr als 5000 Menschen gegen das Kontaktverbot protestierten, hatte die Stadt eigentlich verboten. Ludwig erfuhr davon auf Facebook und bot dem Anmelder an, dagegen zu klagen. Er kam damit bis vors Bundesverfassungsgericht - und bekam recht, der Stuttgarter Beschluss wurde gekippt. Auf der Bühne erzählt Ludwig nun zum Beispiel von seinen Bedenken, dass eine Impfpflicht eingeführt werden könnte, er sagt: „Ich habe Angst davor, dass an uns Dinge ausprobiert werden.“ Unter seinen Zuhörern sind Menschen, die sich um ihre Grundrechte sorgen. Aber es sind auch Verschwörungstheoretiker und Impfgegner dabei. Nach fast jedem Satz brandet Jubel auf. Ludwig bleibt damals noch eine Nacht und fährt am nächsten Tag auf den Hof eines Stuttgarter Biobauern, um auf einer weiteren Demo vor mehr als tausend Menschen zu sprechen. Viele der Protestler haben Instrumente dabei, es wird gespielt, gesungen getanzt. Viele fallen sich in die Arme. „Es war wie Woodstock, voller Liebe“, schwärmt Ludwig. Erst Junge Union, dann Liebesbeziehung zur Antifa: Ralf Ludwig wächst in Osterode im Harz auf. Er ist kurzzeitig Mitglied bei den Jusos und der Jungen Union, findet sich aber nirgends wirklich wieder. Sein Abispruch lautet „Opposition als Hobby“. Als er in Göttingen Jura studiert, sitzt er für den konservativen RCDS dem Studierendenausschuss vor. Und er führt später, so erzählt er es, eine Liebesbeziehung zur „Sprecherin der örtlichen Antifa“. Nach dem Studium arbeitet Ludwig in einer Kanzlei in Magdeburg. Beim Online-Dating auf Parship lernt er seine Freundin kennen. Sie bekommen eine Tochter, er zieht zu ihr nach Leipzig. Als die Beziehung endet, gehen Mutter und Tochter nach Mallorca. Seitdem pendelt Ludwig einmal im Monat dorthin. Seine Fälle bearbeitet er unterwegs, er hat sich spezialisiert: Mit einer eigenen Firma hilft er deutschlandweit Eltern, sich einen Kitaplatz einzuklagen. Als Ludwig Ende März Spanien verlässt, ahnt er, dass er seine Tochter länger nicht besuchen können wird. Und er beginnt sich zu fragen, ob dieses Reiseverbot überhaupt rechtmäßig ist. Auf Facebook stößt er auf die Videos des Arztes Wolfgang Wodarg, der Corona für eher ungefährlich hält. Er verbreitet sie weiter - und bekommt Gegenwind von Freunden und Familie. „Das fand ich interessant”, sagt er. Ludwig beginnt nun damit, eigene Handyvideos zu filmen, in denen er die Schutzmaßnahmen kritisch diskutiert. Unter dem Titel „Corona aus Sicht des Juristen” streamt er sie live auf seiner eigenen Facebookseite namens „Corona-Pandemie fällt heute aus“. Die Abhandlungen, in denen er manchmal über eine Stunde lang spricht, finden schnell tausende Zuschauer. „Ich möchte Sie in den Arm nehmen“: Anfang April wird Ludwig auf den Fall der Heidelberger Anwältin Beate B. aufmerksam, die gegen die Corona-Maßnahmen vor Gericht gezogen war. Und die dann, aus anderen Gründen, von der Polizei in die Psychiatrie gebracht wurde. Verschwörungstheoretikern diente der Fall als Beleg dafür, dass alle Schutzmaßnahmen-Kritiker mundtot gemacht würden. Ludwig sagt: „Ich glaube nicht an solche Theorien.“ Aber Ludwig sendet der Anwältin eine Mail, die er auch auf seiner Seite veröffentlicht. Er schreibt: „Ich hoffe, Ihnen geht es den Umständen entsprechend gut. Ich bewundere Ihren Mut und Ihre Öffentlichkeitsarbeit.” Er bietet ihr an, ihre Fälle weiterzuverfolgen. Außerdem macht er einen Vorschlag: „Möglicherweise ist es sinnvoll, eine freiheitliche Partei zu gründen.” Am Ende der Mail schreibt Ludwig: „Ich möchte Sie in den Arm nehmen, ganz fest drücken und Ihnen - trotz allem - frohe Ostern wünschen.” Eine Antwort erhält Ludwig nicht. Aber der Facebook-Algorithmus zeigt ihm einen anderen Post an, von Victoria Hamm aus Hannover. Hamm beschreibt darin dieselbe Idee wie Ludwig: die Gründung einer Corona-Protestpartei gegen die Verbote, für schnelle Lockerungen. Als er sie kontaktiert, meldet sie sich sofort zurück. Noch am selben Tag treffen sich die beiden in Osterode, in Ludwigs Elternhaus. „Sie hat zur Begrüßung erst meine Mutter umarmt, dann mich“, sagt Ludwig. Nach drei Stunden bei Kaffee und Kuchen beschließen sie, eine gemeinsame Partei zu gründen. Einen Namen haben sie schon: „Widerstand 2020“. „Wir gewinnen den Krieg!”: Ludwig ist kein Verschwörungstheoretiker, der die Regierung für korrupt hält. „Ich glaube eher, sie ist betriebsblind, desorientiert”, sagt er. Er glaubt auch nicht, dass Bill Gates hinter Corona steckt. Aber er zweifelt, ob die Schutzmaßnahmen rechtlich konform sind. Ludwig lässt sich regelmäßig impfen, aber er fragt: „Ist es denn legal, wenn der Staat mich nur noch mit Immunitätsausweis an Bord eines Flugzeugs lässt?“ Und seine Zweifel sind, zum Teil, auch berechtigt. Viele Schutzmaßnahmen wurden nie von Gerichten bestätigt, weil sie schnell wirken mussten. Demonstrationsverbote wie in Stuttgart oder Berlin wurden auch deshalb erteilt, weil niemand wusste, wie man während einer Pandemie demonstrieren soll. Und weil die Behörden ohnehin schon die Wochenenden durcharbeiteten. Als das Bundesverfassungsgericht Ludwig recht gab und die Stadt Stuttgart verpflichtete, sich Auflagen für Demonstrationen zu überlegen, spornte das Ludwig. Auf Facebook schrieb er seinen fast 30.000 Fans: „Wir ziehen in viele Schlachten, wir werden viele Schlachten verlieren. Wir gewinnen aber den Krieg!” „Wir hätten es wie Schweden machen sollen“: Ende April zeigt eine Forsa-Umfrage, dass sich an Demonstrationsverboten nur zwölf Prozent aller Deutschen stören. Auch Kitaschließungen, Reiseverbote und die Maskenpflicht werden von einer breiten Mehrheit getragen. Aber diese Mehrheit schmilzt. Mit jeder Umfrage wird sie etwas kleiner. Und gleichzeitig werden immer mehr Einzelkämpfer wie Ludwig laut, die viele der Maßnahmen nicht länger hinnehmen wollen. Wenn man Ludwig fragt, wie es Deutschland denn hätte machen sollen, sagt er: „Wenn man jemanden dafür bestraft, auf einer Parkbank zu sitzen, werden Menschen zu Wutbürgern, die in ihrem ganzen Leben noch nie wütend waren.“ Er sagt auch: „Wir hätten es so machen sollen wie Schweden.” Aber macht es viele nicht auch ein wenig stolz, dass Deutschland in der Krise so gut dasteht? In Schweden, wo man noch in die Kneipe darf, sterben auf die Einwohnerzahl gerechnet gut dreimal so viele Menschen an Corona wie hier. Anders gefragt: Sind es nicht Menschen wie Ludwig selbst, die die Wut der Leute erst entfachen? Wie eine Piratenpartei ohne Denkverbote: Ende April kommt mit dem Arzt Bodo Schiffmann ein drittes Gründungsmitglied zum Widerstand. Gleichzeitig tauchen auf Facebook immer mehr Gruppen oder Seiten auf, die sich „Widerstand 2020” oder ähnlich nennen. Manche haben schnell tausende Mitglieder und oft wird hier ganz ernsthaft diskutiert: Wer eine Corona-Verschwörungstheorie postet, erhält auch sachlichen Widerspruch. Oder Kopfschütteln. In manchen der Gruppen wird aber auch zum bewaffneten Kampf aufgerufen. Auf illegalen Demonstrationen gegen die Schutzmaßnahmen in Berlin, die von der Polizei aufgelöst werden, halten manche Teilnehmer „Widerstand 2020“-Schilder in die Luft. Ludwig fühlt sich nicht verantwortlich. „Wenn ich sehe wie jemand unter unserem Namen Gewalt verherrlicht, dann lassen wir das natürlich löschen”, sagt er. Den Widerstand, der bald offiziell als Partei registriert werden soll, sehe er in einer ähnlichen Entwicklung wie die frühe Piratenpartei. „Nur, dass wir in alle Richtungen offen sind”, sagt er, “bei uns wird niemand ausgeschlossen, weil er anders denkt”. Was, wenn Rechtsextreme den Ton angeben? Was will Ludwig tun, damit in der Partei nicht bald jene das Ruder übernehmen, die schon in den Widerstands-Gruppen auf Facebook häufig den Ton angeben? Also: Impfgegner, Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme? Ludwig fährt sich durchs Haar. „Wenn bei uns sogenannte Impfgegner oder Verschwörungstheoretiker mitmachen, dann ist das ja nicht per se schlecht”, sagt er. „Es geht doch erstmal darum, miteinander zu reden.” Am Freitagnachmittag erscheint auf der offiziellen Facebookseite des „Widerstand 2020“ ein Post. Darin wird der Abschied von Victoria Hamm aus der Bewegung verkündet. Wenige Minuten später ist der Beitrag wieder gelöscht. Lesen Sie auch: Sitz in Hannover: Wer steckt hinter Widerstand 2020? Von Josa Mania-Schlegel

Corona-Partei - Ex-Niedersachse will mit „Widerstand 2020“ in den Bundestag