Menschen, die sich durch Sturm und Orkan kämpfen, durch Nebel, Eis und Schnee – 180 Jahre lang war der 1141 Meter hohe Brocken ein extremer Arbeitsplatz für Wetterbeobachter. Ab dem 1. Januar 2020 übernimmt automatische Messtechnik ihren Job. Wie schon auf anderen Gipfeln, der Zugspitze und dem Fichtelberg, stellt der Deutsche Wetterdienst (DWD) nun auch auf dem höchsten Harzgipfel die Arbeit der Wetterbeobachter ein. Einige wenige Mitarbeiter sollen vorerst noch die Radioaktivität von Hand messen. Geräte sollen das dann im Dezember 2020 endgültig übernehmen, teilte der DWD mit.
100 Stufen zu den Geräten auf dem Dach
Stationsleiter Marc Kinkeldey arbeitet seit 2001 als Wetterbeobachter auf dem Brocken. Die fünfstöckige Wetterwarte entstand 1937. 100 Stufen müssen Kinkeldey und seine Kollegen bei jedem Gang zu den Messgeräten auf dem Dach überwinden. Der 40-Jährige misst im Schichtsystem gemeinsam mit seinen Kollegen rund um die Uhr unter anderem Niederschlagsmengen, Sichtweiten, Temperatur, Sonnenstunden. Wenn die Schneehöhe zu bestimmen ist, steuern sie elf feste Punkte mit schwarz-gelben Messstangen am Berg an.
Schon vor 100 Jahren hätten das seine Vorgänger so gemacht, sagt Kinkeldey. „Der Wetterbeobachter ist der wichtigste Mann an der Front. Er sammelt sämtliche Daten. Die Meteorologen erstellen die Vorhersagen.“
Wetterbeobachter seit 1836 auf dem Brocken
Wetterbeobachter gibt es seit 1836 auf dem Brocken. Einst erhoben sie drei Mal am Tag die Wetterdaten, später erhöhte sich der Takt immer weiter. Heute werden halbstündlich Wettermeldungen abgesetzt, sagte Kinkeldey.
Dass die Technik den Wetterbeobachtern hilft, ist nicht neu. Schon seit Mitte der Neunzigerjahre hielt sie Einzug. Apparate ermitteln seitdem Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Luftdruck und teils die Sonnenstunden, erklärt Kinkeldey. Zum Jahresbeginn soll die Technik weitere Daten wie Niederschlagsmengen und Sichtweiten erheben. Auf dem Brocken fehlen laut DWD aber noch der Schneehöhensensor und der Niederschlagssammler in der Bergversion.
Letzter Dienst am 1. Januar
Nun gehört der 40-jährige Kinkeldey zu den letzten Wetterbeobachtern. Seine letzten Dienste auf dem Brocken versieht er am 31. Dezember und am 1. Januar. Ein letztes Mal wird er dann die Daten von Hand in den Computer eingeben – bevor er ihn herunterfährt. Die Technik übernimmt endgültig – so ist laut Kinkeldey der Plan. Der Gedanke daran fällt ihm nicht leicht, er sei eben mit Liebe und Herzblut dabei. Für Kinkeldey ist die Arbeit auf dem höchsten Harzgipfel eine Leidenschaft.
Der Brocken mit seinen Extremen hat es dem 40-Jährigen angetan. „Von 2005 auf 2006 hatten wir knapp drei Meter Schnee, auch die letzten zwei Winter hatten wir um die zwei Meter.“ Ihn begeistern auch die skurrilen, meterlangen Eisberge, die der Wind hier entstehen lässt. „Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es solche massiven Eisablagerungen.“
Fast immer bläst der Wind
Und überhaupt der Wind: Inmitten von Flachland bilde der Harz ein Bollwerk, der Wind werde beschleunigt. Mit einer durchschnittlichen Windstärke 6, um die 45 Kilometer je Stunde, sei der Brocken der windigste Ort in Mitteleuropa. Circa 200 Tage mit Sturm gibt es hier jedes Jahr, über 100 Tage mit Orkan, das sind dann 120 Kilometer je Stunde und mehr. Kinkeldey selbst hat 2017 eine Windgeschwindigkeit von 205 Kilometern pro Stunde gemessen. Damals sorgte „Friederike“ dafür, dass aus seiner Zwölf-Stunden-Schicht 30 Stunden wurden. Es führte einfach kein Weg den Berg herunter.
Dass nun Technik anstelle der Wetterbeobachter zum Einsatz kommt, begründet der DWD mit einem gewachsenen Aufgabenspektrum des nationalen Wetterdienstes. Die vorhandenen Personalressourcen wüchsen nicht mit. Deshalb werde seit einigen Jahren Schritt für Schritt das gesamte Messnetz automatisiert – gut 160 von 182 hauptamtlichen DWD-Stationen arbeiteten schon vollautomatisch.
Wetterdienst treibt die Automatisierung voran
2014 lief die Automatisierung auf dem Feldberg im Schwarzwald an, im Juni 2018 auf der Zugspitze, zum vergangenen Jahreswechsel auf dem Fichtelberg. Zum 1. Januar 2020 ist neben dem Brocken auch die Wasserkuppe in der Rhön dran. Die Beschäftigten der Wetterwarten werden laut DWD in anderen Aufgabengebieten weiterbeschäftigt.
Ganz ohne Probleme läuft die Automatisierung laut DWD aber doch nicht. Bei einzelnen Instrumenten etwa zur Schneehöhenmessung oder der Ermittlung der Niederschlagsmenge gebe es noch technische Probleme. Die sollen gelöst werden, heißt es vom DWD. Für die Qualität der Wettervorhersage seien die Probleme nicht entscheidend, denn die Wetterbeobachtung sei ein Baustein neben Wettersatelliten, -radar und Wetterballonaufstiegen.
Und was wird aus Marc Kinkeldey? Ab dem neuen Jahr wird der Wetterbeobachter teils auf Flughäfen unterwegs sein an den Flugwetterwarten. Einen Teil seiner Arbeitszeit wird er noch auf dem Brocken verbringen und die Radioaktivität messen, und zwar von Hand.
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Von Dörthe Hein