"Lebensgeschichten inklusive": Projekt des Gifhorner Vereins Stellwerk mit Schreibwerkstatt

Es läuft wegen Corona mit angezogener Handbremse, aber es läuft seit dem 1. April, das Projekt „Lebensgeschichten inklusive“ des Vereins Stellwerk, das von der Aktion Mensch über vier Jahre finanziert wird. Kreativer Mittelpunkt des Angebots für Menschen mit Beeinträchtigungen „und alle anderen“ ist die Schreibwerkstatt. Dass es von Beginn an und im Moment ganz besonders aufgrund der geltenden Regeln das Einzige ist, was geht, stört Justus Sprengel nicht sonderlich. Denn mit der Etablierung des neuen Vereins-Zweigs habe man auf jeden Fall „ins Schwarze getroffen“, wie der 29-jährige Sozialpädagoge, „Hobby-Autor“, Läufer und Leiter des Projekts feststellen konnte. „Elfchen“ zum Warmwerden: Insgesamt 27 Teilnehmer zählen die Schreibgruppen, die sich seit Mai coronagerecht aufgeteilt regelmäßig in den Stellwerk-Räumlichkeiten in der Fallersleber Straße treffen, um nicht nur Kaffee zu trinken und Kekse zu essen, sondern vor allem an ihren Problemen zu arbeiten mittels des Schreibens. Zu Beginn gibt’s bei den wöchentlichen Treffs für alle zum Warmwerden immer eine Übung, ein Elfchen wird verfasst: „Das kann ein kurzes Gedicht sein oder ein lustiger Satz, Hauptsache es hat elf Wörter“, erklärt Sprengel. Danach präsentieren die Teilnehmer, „wenn gewünscht“, von ihnen verfasste kleine Texte, die dann besprochen werden. „Die Selbstsicherheit wird gestärkt, wenn man Ideen zu Papier bringt und diese hier dann, anders als sonst im Alltag, ernst genommen werden“, berichtet Karsten Fehrke (55), der unter Depressionen leidet. Auch für Petra Meyer, die vor ihrem Einstieg ins Projekt „lange nicht geschrieben“ hatte, sind Rückmeldungen – Kritik wie positive Bestärkung – wichtig. „Reflexion der eigenen Situation“: „Endziel“ der 58-Jährigen ist es, ihre Gedichte eines Tages zu verlegen. Schon jetzt „eine seelische Bereicherung“ ist die Teilnahme bei dem Projekt für Dietmar Voigt (42). Sprengel benennt „aus pädagogischer Sicht“ auch die positiven Effekte des Schreibens fürs Kognitive allein durch den motorischen Vorgang. Und eine „Weiterentwicklung“ erfolge beispielsweise, wenn „die Schreibzeit verlängert wird“ – ganz abgesehen von der Möglichkeit der „Reflexion der eigenen Situation“. Erzählsalon, Lesungen, Workshops und Ausflüge: Wenn sich (mit Blick auf Corona) die Lage wieder entspannt, werde sich nicht nur die Schreibwerkstatt „für alle“ öffnen und einen „Kulturraum schaffen für inklusive Begegnung im Rahmen der Teilhabe“, wie Sprengel es formuliert. Es sei auch nur „eine Frage der Zeit“, bis die anderen geplanten Komponenten des Gesamt-Projekts „Lebensgeschichten inklusive“ auftreten: „Erzählsalons“ an wechselnden Orten, Lesungen, Workshops und „Ausflüge mit kulturellem Hintergrund“. Kooperationen und Netzwerke: Zum Konzept von Stellwerk gehöre es auch, Netzwerke zu knüpfen und Kooperationen einzugehen mit dem Buchhandel in der Stadt, der Stadtbücherei und potentiellen Orten für den wandernden Salon. Auch ein Anwachsen der Teilnehmerzahl bei der Schreibwerkstatt auf das Doppelte wäre laut Justus Sprengel kein Problem, weil er dieses Jahr personelle Unterstützung bekommt beim Projekt-Management. Von Jörg Rohlfs