Die Lager quellen über: Gifhorner Textilhandel ist zunehmend sauer auf Corona-Politik

Da blutet einem Gifhorner Unternehmer wie Fritz Becker jr. das Herz. Am Samstag ging er durch den Steinweg. Der Frühling lockte die Gifhorner in Scharen an. Perfekte Bedingungen, um etwa in der aktuellen Frühjahrskollektion im Modehaus Becker zu stöbern – wenn da nicht die Tür zu sein müsste wegen der Corona-Maßnahmen. „Mehr als acht Wochen haben wir schon zu, als Unternehmer ist man äußerst frustriert“, sagt Becker. „Das kann alles so nicht mehr funktionieren“: Der Textilhandel müsse offenbar „als Symbolfigur“ in Zeiten der Virus-Eindämmung herhalten, während fast alle anderen Einzelhandelsparten offen sein dürfen. Schon jetzt sei „nachhaltiger Schaden“ entstanden. Schon beim ersten Lockdown hätten die großen Internet-Einkaufsplattformen riesige Umsatzsprünge gemacht. Von der Politik sieht Becker die Textilbranche im Stich gelassen: Der Politik falle nicht mehr ein als auch dem mittelständischen Textilhandel zu raten, Online-Shops einzurichten. Wenn erst nach Ostern wieder geöffnet werden dürfe, dann würde das nach Beckers Einschätzung nur noch knapp die Hälfte aller lokalen Textilgeschäfte erleben. „Das kann alles so nicht mehr funktionieren.“ Schon drei Bilderbuch-Wetter-Saisonstarts fielen Corona zum Opfer: Ein paar Meter weiter ist zwar auch das Geschäft zu, aber auch bei Galipp wird mit Hochdruck daran gearbeitet, wie man nun mit nicht verkaufter Winterware umgeht, während schon das neue Sortiment eintrifft. Noch dazu kämpft Jochen Galipp zunehmend mit Groll gegen die Vorgaben. „Ganz, ganz schlimm“ schätzt er die Lage ein. Drei Saisonstarts mit Bilderbuchwetter, das zum Shoppen gelockt hätte, hätte man nun schon im Lockdown erleben müssen. Tatenlos mit ansehen, wie große Supermärkte Textilware verkauft: Auch wenn das kreative Team mit Schaufenster-Aktion und Online-Shop alles gibt, um Schuhe zu verkaufen, so habe das nicht verhindern können, dass einiges an Winterware eingelagert werden müsse. Galipp fordert klipp und klar, dass es beim von der Politik anvisierten Start am 7. März bleibt. „Wir ärgern uns jeden Tag. Zumal die großen Supermärkte ja Schuhe und Textilien verkaufen. “ Perspektivisch muss die Branche weiter im Nebel planen. „Mir liegt schon die nächste Winter-Kollektion vor – aber man weiß noch gar nicht, wie man nun am besten Ware bestellt.“ Neue Ware kann nicht aufgehängt werden, weil auf den Bügeln noch Winterware hängt: Im Modehaus Ernst Dress ist sogar noch Winterware des letzten Jahres unverkauft geblieben. Ein Satz bringt die Lage auf den Punkt: „Wir können gerade die neue Ware, die ankommt, nicht aufhängen, weil auf den Bügeln noch Winterware hängt.“ Das mehr als 130 Jahre alte Traditionsunternehmen in Wittingen habe in den Vorjahren Winterware nach und nach reduziert, der Rest kam auf einen Ständer vor die Tür. „Das geht ja jetzt alles nicht“, sagt Chefin Claudia Kasprzyck. So drängt sich gerade das Sortiment auf der Fläche. Nur gut, dass die Ladenfläche Eigentum und nicht noch Miete zu zahlen sei. Isenbüttler Boutique-Besitzerin ist sauer über ungerechte Regelung: „Hier steht alles noch voll mit Wintersachen. Es ist eine Katastrophe“, sagt Monika Stuka, Inhaberin von Monia’s Boutique in Isenbüttel. Vor einem Jahr erst geöffnet, musste sie schon die Hälfte der Zeit im Lockdown sein. „Da ich nur Einzelstücke habe, kommt der Online-Verkauf nicht in Frage.“ Sie ist erst recht ratlos, seitdem sie ein Nein vom Ordnungsamt bekam, weil sie vorhatte, Ware vor der Ladentür zu präsentieren. Darüber ist sie sauer: „Die großen Supermärkte dürfen aber verkaufen.“ Auf die Frage, ob sie jetzt schon an die Winterkollektion 2021/22 denke, stellt sie die Gegenfrage: „Was soll ich denn bei der Lage bestellen?“ Von Andrea Posselt